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Manchmal fühle ich mich einfach sehr, sehr müde. Weil ich auch nicht mehr weiter weiß. Weil es nicht erklärbar ist, was da passiert im Journalismus. Oder wie es weitergehen soll.

Nehmen wir die folgende Geschichte:

Stellen Sie sich vor, ein fest angestellter Journalist einer bedeutenden Zeitung möchte sie interviewen. Das Treffen findet in ihrem Büro statt, es dauert einige Zeit. Der Journalist hat ein Notizbuch und einen Bleistift, gelegentlich schreibt er etwas auf.

Das Ergebnis ist ein sehr, sehr, sehr langer Artikel. Seine Länge übersteigt das gewöhnliche Maß dieses Mediums um ein Vielfaches. Sie selbst tauchen darin auf. Nur sind viele Ihrer Zitate falsch, verdreht, ja sogar dergestalt, dass Fachleute glauben könnten, Sie hätten nicht mehr alle Delfine im Becken.

Und dann fällt da noch ein Spruch, den sie gar nicht tätigten. Es ist das Zitat eines bekannten Künstlers. Und dieser Satz hängt in Ihrem Büro als Postkarte.

kippenberger (Foto: Spreeblick)

Wie, liebe Leser, würden Sie sich fühlen? Darf man das Borderline-Journalismus nennen?

Und: Würden Sie glauben, dass genau das gerade passiert ist – im Haus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“?

Wer in der vergangenen Woche Johnny Haeusler, Gründer des Weblogs Spreeblick, auf die „FAZ“ ansprach, konnte kleine Rauchwölkchen aus seinen Ohren aufsteigen sehen. Drei Seiten hatte das Blatt dem Thema Weblogs gewidmet, Anlass war die von Haeusler mitorganisierte Konferenz Re-Publica in Berlin.

In diesem Stück wird er an mehreren Stellen zitiert. Eine davon klingt besonders merkwürdig:

„Er spricht über die Twitterer, die sich einfach Teile aus seinem Blog herausziehen und ins Netz schicken, ohne dass er davon etwas hätte…“

Das klingt wie eine Klage über Raubkopierer. Tatsächlich aber, sagte Haeusler, habe er auf die Frage, was sich in den Jahren verändert habe, seit der das Bloggen begann, geantwortet, dass es früher eben kein Twitter gegeben hätte. Doch es geht noch schlimmer als Zitate nur zu verdrehen.

Denn „FAZ“-Autor Marcus Jauer behauptet auch noch, Spreeblick lebe noch immer von jenem legendären Jamba-Text. Was natürlich Blödsinn ist. Aber viel heftiger ist jenes Zitat, das dem Absatz zu diesem Thema folgt:

„Aber gut“, sagt Johnny Haeusler, „ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden.“

Das, sagt Haeusler, hat er nicht gesagt. Es ist ein Zitat des Künstlers Martin Kippenberger. Und das hängt als Postkarte im Spreeblick-Büro.

Einst hatte ich eine klare Meinung zur Abstimmung von Zitaten: Das ist eine Unsitte, eine deutsche Unsitte.

Nun aber berichten mir immer mehr Menschen von ihren schlechten Erfahrungen. Da werden Aussagen verdreht, wird einer zum Geschäftsführer erklärt, obwohl er den Posten schon länger nicht mehr hat. Es tauchen Journalisten ohne Aufnahmegerät oder Block auf, führen ein Gespräch und senden hinterher ein Gedächtnisprotokoll zu – das natürlich wenig mit dem zu tun hat, was stattfand.

Nein, man kann offensichtlich den handwerklichen Grundlagen von Journalisten heute nicht mehr vertrauen. Und deshalb werde ich gleich jenen Artikel, den ich einst über das Abstimmen von Zitaten schrieb, ergänzen. Denn ich kann inzwischen jeden verstehen, der Zitate abstimmen lässt.

Im Artikel von „FAZ“‚ler Jauer gibt es auch einen, der das tut. Es ist Robin Meyer-Lucht von Carta.info. Er darf sich dafür beißenden Spott gefallen lassen:

„Er habe ein wertiges Umfeld gewollt, sagt Robin Meyer-Lucht. Aber weil er von allen Bloggern, die man getroffen hat, der einzige ist, der kontrollieren will, womit er zitiert wird, sagt er das jetzt nicht.
Er sagt: „Für ein Einzelbüro war es eine der charmantesten Lösungen.“…

Die Erlössituation zwinge ihn zur Multifunktionalität, sagt er, will aber so nicht zitiert werden…

Anders Jörg Wittkewitz nimmt er sich nicht wichtiger als sein Thema, anders als Robin Meyer-Lucht hat er überhaupt eins.“

Ja, Meyer-Lucht wollte eine Zitatabstimmung – er wird gewusst haben, warum.

Ergänzung: Die Sache mit den journalistischen Grundsätzen scheint bei der „FAZ“ derzeit auf mehreren Ebenen ein Problem zu sein. Denn die Trennung von Meinung und Berichterstattung – die für manchen Qualitätsjournalismus ausmacht – scheint dort auch egal geworden zu sein. In ihren Bericht (nicht online) über die Re-Publica mischt Swantje Karich munter ihre persönliche Haltung zum Datenschutz bei Facebook bei:

„Bendrath sprach ihr (Verbraucherschutzministerin Aigner) in seinem Vortrag Mut zu: Sie habe ,sicherlich noch ein paar Pfeile in ihrem Köcher‘. Hoffen wir es!“


Kommentare


Oliver Kahn: Die Angst des Interviewten 23. April 2010 um 14:48

[…] Nachtrag vom 23.4.2010: Meine Meinung zu diesem Thema habe ich inzwischen revidiert. […]

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Usul 23. April 2010 um 14:58

Und bei der Überschrift dachte ich zuerst, es geht (wieder mal) um eine Abmahnung …

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Lars Fischer 23. April 2010 um 15:08

Au weia.
Ich persönlich lasse meine Interviews nach Möglichkeit autorisieren, und lese mir meine eigenen Zitate auch gerne noch mal durch. Meine Erfahrungen damit sind bislang recht gut, aber meine Klientel kritzelt halt auch meistens nicht ungebührlich im Transkript rum.

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Papa Bodehase 23. April 2010 um 15:24

@Usul: Dachte ich auch. 🙂

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Donegal 23. April 2010 um 15:36

@Usul
So ging es mir auch und ich bin froh, mich geirrt zu haben.

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Arne W. 23. April 2010 um 15:40

Vielleicht sollte der Interviewte selbst ein Aufnahmegerät zum Interview mitnehmen. So erhöht er präventiv den Druck, später nichts Falsches zu berichten – und kann im Zweifelsfall Unwahrheiten belegen…

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Thomas Television 23. April 2010 um 15:51

Ja, ich habe die Überschrift auch erst nach einigem Überlegen verstanden. Aber das Artikel mit klarem Bekenntnis zur journalistischen Unabhängigkeit jetzt nach dem Seitenwechsel auf die Beraterseite frühzeitig angepasst werden müssen, halte ich für die wahrscheinlichere Lösung als den Mißmut über die möglichen Falschzitate der FAZ (das ist ja auch nur die Aussage Häuslers).

Für mich persönlich lebt Spreeblick übrigens auch nicht von der Jamba-Geschichte, davon habe ich jetzt vor einigen Wochen erst erfahren, weil Häusler sie halt immernoch ausführlich erzählt (in diesem Fall im dctp-Interview mit Philip Banse). Soviel dazu 😉

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Jan Moenikes 23. April 2010 um 16:07

Ja, in der Tat: Schon als ich Ihren Artikel zum „Autorisierungsstreit“ damals gelesen habe, dachte ich mir: Das kann nur jemand schreiben, der noch nicht selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat…

Zugegeben: Ich habe schon aus beruflichen Gründen ein verzerrtes Bild von Journalisten – aber ich verstehe alle Betroffenen nur zu gut, wenn irgendwann der Punkt erreicht ist, ab dem die „Opfer“ gegen die zunehmende Mißachtung der Regeln journalistischer Sorgfalt dann eben auch anwaltliche oder gerichtliche Hilfe suchen wollen. Selbst auf die Gefahr, dass ihnen auch in absolut berechtigten Fällen und selbst bei üblen Persönlichkeitsrechtsverletzungen anschließend in der Blogosphäre der (oft unberechtigte, aber reflexhafte) Vorwurf eines Versuches der „Zensur“ oder fieser „Abmahnereien“ droht.

Oft sind meine Mandanten dabei übrigens selbst ehemalige Journalisten, die – sobald sie die Seiten gewechselt haben – zur Einsicht gelangen, dass es ihre ehemaligen Kollegen mit dem Berufsethos und dem Anspruch der eigenen Zunft in der Praxis nicht so genau nehmen. Und auch kollegiale Verbundenheit und konstruktiver Umgang miteinander nicht immer schützt.

Aber, das gilt sicherlich für alle Bereiche und ist keine Besonderheit der schreibenden Zunft – selbst dann nicht, wenn sie sich manchmal für etwas Besonderes hält. 😉

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bridget 23. April 2010 um 17:05

ich habe fuer solche faelle ein optimales hilfsmittel. die kamera incl. ton, im kugelschreiber!! natuerlich weise ich meinen gespraechspartner daraufhin, dass alles was wir nunmehr sagen, aufgezeichnet wird. ( auch das zeichnet mein “ kugelschreiber “ auf). meist ernte ich nur grosse unglaeubigkeit. denn das ding ist ja fuer meinen gespraechspartner nicht zu sehen. ausserdem mach ich darauf aufmerksam, dass ich unser gespraech auch auf youtube lade, da es ja sicher fuer gaaaanz viele menschen interessant ist. bisher hatt ich deshalb noch nie ein problem)) so einfach ist der umgang mit der „presse „)))

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sebastian 23. April 2010 um 18:27

In diesem Zusammenhang empfehle ich die beiden Satiren von Ephraim Kishon „Authentisch bis zum letzten Wort“ und „Röntgenbild eines Interviews“ (zB in: „Total Verkabelt“, Langen Müller).

Früher hielt ich die beiden Geschichten für etwas überzogen; inzwischen weiß ich, dass sie eher Realsatire sind.

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Uwe Wolff 23. April 2010 um 18:41

Hallo Herr Knüwer,
ich habe lange in den USA als Journalist gearbeitet. Dort gilt das gesprochene Wort und kein Journalist käme jemals auf die Idee, Zitate autorisieren zu lassen. Davon einmal abgesehen, gibt es dort kaum ein Interview ohne Aufnahmegerät.
Es war aber auch so, dass die US-Journalisten von besseren Produkten auch eine höhere journalistische Ethik (und Professionalität) haben und dazu gehört Wahrhaftigkeit und Faktenglauben. Das, lieber Herr Knüwer, mag hier in Deutschland vielleicht auch bei dem einen oder anderen Kollegen sein. Tatsächlich aber hat sich eine gewisse Wurstigkeit, Schlampigkeit und Nachlässigkeit beim Zitieren eingeschlichen. Mir wäre es lieber, die Interviewpartner belegen diese Nachlässigkeit mit Sanktionen (und schneiden jedes Gespräch mit) als dass wir mit dieser journalistisch unwürdigen Praxis der Autorisierung fortfahren. Autorisieren ist nicht nur unwürdig, sondern auch richtig schön deutsch-untertänig. Es gibt offenbar nicht nur einen Tom Kummer. (Ist ja auch bezeichnend, dass die Lifestyle-Presse sich nicht zu schade ist, diesen Betrüger hoch zu feiern)

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Eckhard Supp 23. April 2010 um 19:07

Aus Erfahrung wird man eben klug. Ich würde, selbst Journalist, keinem Journalisten ein Wort anvertrauen, der ohne Notizblock oder Aufnahmegerät bei mir erschiene. Konnte früher bei einigen – immer nachträglich autorisierten – langen Interviews eines großen deutschen Nachrichtenmagazins dabei sein. Da liefen in der Regel gleich drei Recorder, zwei der Redakteure und eines des Interviewten. Die wussten warum!

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5 vor 12 (+2×2): SPD, Google, re:publica und die FAZ : netzpolitik.org 23. April 2010 um 22:54

[…] Faszinierend (Johnny Haeusler) # FAZ am Rande des Borderlinejournalismus (Thomas […]

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Michael 24. April 2010 um 6:17

Selbst als jemand der (in einem ernsthafteren Zusammenhang) nie von einem Journalisten interviewt worden bin, bin ich nicht überrascht. Die große Anzahl an unseriösen Journalisten ist wohl bekannt, und hat auch in der Literatur Einschläge gemacht, von Bölls ZEITUNG zu Rowlings Rita Skeeter. (Höchstens hätte man was besseres von ausgerechnet der FAZ erwartet, aber so wie sich der Populismus ausbreitet…)

Ich würde stark befürworten, dass wenn es um Interviews geht, müssen Journalisten die wortgenau zu publizierende Version von dem Interviewten schriftlich absegnen lassen—ohne Signatur keine Publizierung. (Während natürlich Zitate aus anderen Quellen/Situationen und übliche Berichterstattung anderer Art nicht von diesem Vetorecht umfasst sind. Gleichwohl kann u.U. auch hier eine Verschärfung der Presseethik sinnvoll sein.)

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Johannes Lenz 24. April 2010 um 16:02

hallo thomas,

du fragst mich als leser deines posts, wie ich mich fühlen würde, wenn ich falsch zitiert worden wäre. ich würde mich schlecht fühlen.

ich bleibe dabei und habe es schon häufiger geäußert: es gibt dinge, die macht man und es gibt dinge die läßt man. und falsch zitieren gehört dazu. ich werde etwa heute noch meinen vortrag, den ich während der woche gehalten habe, mit den quellen ausstatten, von denen ich zitiere. warum sollte ich mich mit fremden federn schmücken?

dann, nach dem schlecht fühlen würde ich den journalisten anrufn, damit er sich erklärt. was mich wundert ist, daß keine rede von der freigabe des textes ist. ich halte es in solchen fällen so, daß ich vorher nochmal drüber schaue. spätestens da kann man „mißverständnisse“ ausräumen. ist das nicht mehr üblich?

was das erste zitat zu johnny und twitter betrifft, so glaube ich, ist er der letzte der sich über das afkommen von microblogging und easyblogging a la amplify oder posterous ecfhauffiert. zwar kenne ich johnny nicht persönlich aber virtuell sehe und lese ich ihn als einen offenen und freundlichen menschen, der seine meinung äußert und mit spreeblick bzw. der orga der re:publica einen 100% guten job macht/gemacht hat.

ich würde meinen das johnny posterous & Co. als sinnvolle ergänzung des bloggens via wordpress uvm. hält. funktional betrachtet führt es ja auch zur verstärkten distribution von eigenen beiträgen aus dem blog. und überhaupt: was sollte er erstzu rivva sagen?

ich finde es schade. daß solche dinge noch immer vorkommen. aber: fehler kann man sich selbst und anderen zugestehen.

es bleibt zu hoffen, dass die sache sich klärt.

beste grüße

johannes

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Ralph 24. April 2010 um 18:27

Das Problem der FAZ, keine Trennung zwischen Nachricht und Meinung zu machen, war mir schon vor Jahren während des vierwöchigen Probelesens übel aufgestoßen. Ich war noch nie so froh, dass mein Probe-Abo wieder vorbei war.

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Peter Disch 24. April 2010 um 22:15

Zum Thema FAZ und Zitattreue kann ich auch ein Beispiel beifügen:
http://feuerherz.blog.de/2010/02/08/faz-rehabilitiert-7972808/

Schöne Grüße, Herr Knüwer,
Peter Disch

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Hilli 25. April 2010 um 18:06

„Weil es nicht erklärbar ist, was da passiert im Journalismus.“

Nein?
Ich denke doch.

Ein aktuelles Buch zur gesamten Thematik ist z.B. „Am besten nichts Neues“ von Tom Schimmeck (erschienen März 2010). Titel und Untertitel sind nicht so der Hit, aber inhaltlich eine „schöne“ (grausame) Zusammenfassung.

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Intermezzo (143) « Blue Archive 27. April 2010 um 3:29

[…] “FAZ”-Autor Marcus Jauer behauptet auch noch, Spreeblick lebe noch immer von jenem legendären J… […]

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eldersign 27. April 2010 um 13:47

Wenn man diese Geschichte so verfolgt, scheint es doch das beste zu sein, Interviewanfragen von diesen sgn. „Journalisten“ von vorn herein abzulehnen. Dann wird man zwar trotzdem durch den Kakao gezogen, hat aber zumindest nicht auch noch daran mitgewirkt.

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Stephan 27. April 2010 um 17:37

Ich meine einen Essay von Hans Magnus Enzensberger über die FAZ aus den 1950er Jahren gelesen zu haben, in dem er auch schon den „Qualitätsjournalismus“ dieses Blattes beschrieb. Vielleicht wollen die nur spielen und tun seit Jahrzehnten als ob…

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Marc 27. April 2010 um 20:46

Autorisieren sehe ich eher ungern, denn damit kann der Gesprächspartner einen reinreiten. Beispielsweise kann man sich mit dem Autorisieren soviel Zeit lassen, dass es zu spät wird. Blöd, wegen dem weißen Kasten im Blatt. Auch blöd, weil es danach eventuell kalter Kaffee ist.

Genauso ärgerlich ist es, wenn einer auf diese Weise seine Aussagen um 180 Grad dreht, weil seine PR-Fuzzis was glattbügeln, weil sie glauben, dass es besser nicht so kommt wie gesagt.

Und wenn man das mit „Zeit lassen“ kombiniert, wird es nochmal ärgerlich. Denn unter Umständen muss man das, was der andere nie gesagt hat, dann bringen, weil man keine Zeit mehr hat die leere Stelle zu füllen. (Schon klar, das passiert online so nicht 🙂

Stefan Niggemeier hat mit „Günther und Johannes Nähkastenfrosch“ ganz schön beschrieben wie das mit dem für und wider ist.

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jakob 6. Mai 2010 um 11:16

Aufnahmegeräte sind schön… aber ist das hier das Problem?
Ich glaube jeder, der schon ein mehrstündiges Gespräch geführt hat weiß, dass sich darin nicht unbedingt die fünf oder zehn druckreife Zitate finden, die das in dem Moment Gemeinte (!) wiedergeben. Ganz sauber behilft man sich dann mit indirekter Rede. Manchmal braucht man Zitate. Aber hilft einem dann die Abschrift weiter? Wollen Menschen tatsächlich mit Sätzen wie „Ich glaube das abgeschnittene-Ohrendings…äh… das man das nicht jeden tag machen kann trifft den Kern ziemlich genau was ich, wir hier machen wie gesagt.“ zitiert werden?
Meine Erfahrung ist, das echte Zitate immer besser sind als von mir erinnerte, irgendwie hingebogene oder gar von jemandem autorisierte. Meine Erfahrung ist aber auch, dass die meisten Menschen ihre echten Zitate ziemlich blöd finden.

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Jan 16. November 2010 um 15:38

Die Realität der meisten Interviews ist doch die: Der Journalist erfindet basierend auf Stichworten, die er während des Interviews mitgeschrieben hat, ein Zitat, das er dem Interviewpartner dann und so in den Mund legt, wie es ihm im Interesse eines knackigen Artikels passend scheint. Wer vor dem Hintergrund dieser Medienrealität nicht auf eine finale Freigabe besteht, dem ist nicht mehr zu helfen. Kritik an diesem Procedere ist im übrigen schon aus urheberrechtlichen Gründen unethisch – es gibt ein Recht am eigenen Wort, das gerade Journalisten an anderer Stelle nur zu gern hochhalten. Ich könnte aus dem Berateralltag inzwischen eine schöne Sammlung an gänzlich wahrheitsfernen Zitatunterstellungen posten, die sich schlecht bis gar nicht vorbereitete Journalisten im Anschluss an Interviews ausgedacht haben. Und ich rede hier nicht von Wald-und-Wiesen-Journalisten. Leider. Das hier vorgestellte FAZ Beispiel ist leider Teil der Regel, nicht Teil der Ausnahme.

Die Abstimmung von Zitaten sollte schon aus Gründen der Sorgfaltspflicht auch auf Journalistenseite gewünscht sein und ist keine „Unsitte“, sondern Teil einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf die letztlich beide Seiten angewiesen sind. Will der Journalist sie umgehen, kann er das jederzeit tun, indem er auf wörtliche Zitate verzichtet.

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