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Die Wirtschaftskrise? Überstanden. Klima? Gerettet. Opel? Alles super.

Muss so sein. Geht nicht anders. Denn schließlich haben hordenweise Politiker Zeit, sich mit einer aufgeblasenen Fitzelchen-Affäre wie der vorzeitigen Bekanntgabe der Wahl von Horst Köhler via Twitter zu beschäftigen. Diese Energie, diese Zeit kann nur haben, wer sonst keine Probleme hat.

Und dabei sollten sich die hysterischen Volksvertreter darauf einstellen, dass dies erst der Anfang ist. Da kommt noch mehr. Viel mehr. Spätestens am Tag der Bundestagswahl. Man könnte depressiv werden. Depressiv ob solcher Menschen, die das Volk repräsentieren sollen in der Hauptstadt, ja, in der großen Welt.

Es war also Bundespräsidentenwahl am vergangenen Samstag. Und ihr Ausgang ist ungefähr so spannend wie das Spiel eines Champions-League-Siegers gegen eine Hobbytruppe – alles nur eine Frage der Höhe des Ergebnisses. Horst Köhler schafft es im ersten Wahlgang, das erfahren der Blumenträger und die Musikkapelle. Und es erfahren auch eine Reihe Menschen in der Bundesversammlung, denn in der Politik wird nun mal viel getratscht und diese Menschen sind nicht dumm.

Drei von ihnen twittern das Resultat heraus
, wenige Minuten, bevor es offiziell verkündet wird. Und das soll nun eine Staatsaffäre sein. Eine, mit der sich der Ältestenrat des Bundestages befasst, was darauf hindeutet, dass dessen Mitglieder nun überhaupt keine Ahnung haben, wie sie ihre Tage so rumbringen sollen.

Ebenso peinlich ist die öffentliche Diskussion, die einige der Betroffenen darüber führen. Das ist Zickenkrieg mit Männerüberschuss, protokolliert bei Basic Thinking.

Was wird die versammelte Volksvertreterschar dann wohl erst am 27. September sagen? Dann wird es noch viel heftiger werden. Spätestens, es stehen vorher ja noch andere Wahlen an.

An solch einem Wahltag bekommen Medien und Parteien einen Informationsvorsprung. Die Wahlforschungsinstitute versorgen sie im Laufe der Stunden mit Wahlvorhersagen, die nicht veröffentlicht werden – die noch zur Urne Strömenden soll ja nicht beeinflusst werden.

Fakt aber ist: Nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in den Parteien sind diese Prognosen weiträumig bekannt. Gut, nicht immer sind diese dann auch richtig, wenn ich mich da an die vergangene Wahl erinnere.

Was folgt ist klar: Es braucht nicht einmal einen Politiker oder Journalisten, der diese Vorhersagen per Twitter hinauspustet. Dazu reicht schon ein Bekannter, der einfach mal nachfragt bei einem Mitglied dieser beiden Gruppen. Oder einen Kellner, der beim Public-Viewing einer Partei die Gläser füllt. Einen Taxifahrer, der einen telefonierenden Abgeordneten fährt. Den Kabelleger eines übertragenden Fernsehsenders. Den Pizzaboten, der die Redaktion beim Sonntagsdienst beliefert. Und eine diese Kontaktpersonen wird Twitter nutzen. Oder mit jemand reden, der Twitter nutzt.

Und deshalb mag der Ältestenrat auch noch so toben: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass über Twitter in diesem Jahr Wahlsieger verraten werden – noch bevor die Wahllokale geschlossen haben.


Kommentare


50hz 26. Mai 2009 um 18:00

Anmerkung I: Du hast recht, ein Staatsaffäre ist die Sache nicht. Aber da die Diskussion nun einmal da ist, sollte man sie auch zu Ende bringen.
Anmerkung II: Inwieweit sich die Ergebnisse der Exit Polls in Zukunft geheim halten lassen, vermag ich ich nicht zu beurteilen. Die Institute sind aber sicher gut beraten, ihre Prozesse so anzulegen, dass nichts bis knapp vor 18.00 Uhr durchsickert.
Bei der Bundesversammlung sollte es hingegen ein Kinderspiel sein, für einen würdigen Ablauf zu sorgen. Dafür braucht es nur ein paar klare Regeln und den Willen, das Ergebnis wirklich bis zur Verkündung unter Verschluss zu halten. Fraktionsvorsitzende vorab zu informieren, entbehrt aus meiner Sicht jeder Grundlage.

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funkroboter 26. Mai 2009 um 18:24

ich frage mich, warum die bloggosphäre sich jetzt gerade so aufregt? klar. behutsamkeit im umgang mit informationen sollte im politischen feld vorhanden sein. andererseits: erst wird berechtigterweise mangelnde medienkompetenz bei politikern angemahnt (siehe #zensursula-debatte) und nun twittern die politiker mal ordentlich und wumms! bekommen sie wieder eins auf den deckel. liegt jetzt die hysterie bei den politikern oder bei den twitternden bloggern? mal bisschen provokativ ausgedrückt … 😉

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Edda Lauritzen 26. Mai 2009 um 18:25

Ganz ehrlich, ich find\’s auch ziemlich peinlich für die Abgeordneten. Man könnte meinen, die hätten nie was von Stil und Vertrauen gehört.

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Thomas 26. Mai 2009 um 18:33

\“Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass über Twitter in diesem Jahr Wahlsieger verraten werden – noch bevor die Wahllokale geschlossen haben.\“

Ohhh, das wäre toll. Dann warte ich bis 17:30 Uhr und verkaufe meine Stimme dann an die Partei die knapp hinten liegt 😉

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owy 26. Mai 2009 um 19:17

Vielleicht ist die Debatte hier genau der richtige Zeitpunkt, das mal festzuhalten:

Jeder, der sich am Wahltag daran beteiligt, Prognosen vor 18:00 Uhr durch die Gegend zu bloggen oder zu twittern, ist kein Demokrat.

Ganz egal, ob er den ersten oder zweiten oder dritten Stein wirft – für sowas gäbe es keine Entschuldigung.

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Paul Cermon 26. Mai 2009 um 20:11

Ach, weil es technisch möglich sein wird, per Twitter die Bundestagswahlergebnisse vor Schließung der Wahllokale auszuzwitschern, ist es ein peinlicher Zickenkrieg, wenn jetzt über eine Protokollverletzung in der Bundesversammlung diskutiert wird?

Dass Dinge getan werden, weil sie technisch möglich sind, ist ein Totschlagsargument für jede Ethik. Verraten Sie uns, warum Sie sich dieses Totschlagarguments bedienen? Nur wegen ihres bekennenden Twitter-Fantums? Oder hat es am Ende etwas mit dem von Ihnen verlinkten Artikel aus dem eigenen Verlagshaus zu tun?

Im übrigen möchte ich mich meinem Vorredner anschlißen: \“Jeder, der sich am Wahltag daran beteiligt, Prognosen vor 18:00 Uhr durch die Gegend zu bloggen oder zu twittern, ist kein Demokrat.\“

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Thomas Knüwer 26. Mai 2009 um 23:49

@Paul Cermon: Ich glaube es gibt ein Missverständnis. Der Zickenkrieg bezog sich auf den öffentlichen Twitterdialog zwischen den Politikern.

Was das Nicht-Demokrat vor 18 Uhr betrifft, bin ich mir selbst noch nicht schlüssig. Denn: Ist ein Meinungsforschungsinstitut, das seine Prognosen an einen nicht winzigen Verteilerkreis per SMS verschickt dann auch kein demokratisches Institut? Über Argumente würde ich mich freuen.

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ethone 27. Mai 2009 um 0:52

Wer seine Stimme nicht nach bestem Wissen und Gewissen der Partei schenkt, von der er das für alle bestmögliche Regierungsgeschäft erwartet, dürfte eher in die Schublade Nicht-Demokrat fallen.
Eine Wahl ist eine Stimmenaggregation und dass sich Bürger dieser verweigern, weil ihre Stimme alleine mutmaßlich nichts ändert, ist nun kein neues Problem. Wär doch super, wenn durch einen getwitterten exit-poll mehr Menschen zur Wahl gingen. Eine Verzerrung gibt es ohnehin nur, wenn Menschen aus Faulheit oder Ignoranz zu Hause bleiben. Gehen ohnehin alle wahlinteressierten Bürger zur Wahl und wählen ihre echte Präferenz gäbe es kein Problem.
Das ethische Problem der Publikation von exit-polls ist daher eher gering. Zumal ich mir kaum vorstellen kann, dass viele Bürger sich dann doch noch auf zur Wahl machen. Zum einen ist da das Informationshindernis. Nichts gegen Twitter, aber selbst wenn die exit-polls über den Dienst bekannt werden, werden sie nicht nennenswert in der Bevölkerung verbreitet werden. Selbst wenn es in social networks und blogs übernommen wird, wieviele Menschen lesen an einem Wahltag Blogs? Wieviele davon wiederum gehen dann aufgrund der Information zur Wahl?
Zum anderen: Wer sollte dann doch noch zur Wahl gehen? Der SPD-Anhänger, der seine Partei nur 2% hinter einer anderen sieht? Die einzelne Stimme macht noch immer nicht den Unterschied. Der Kleine-Parteien-Anhänger, dessen Präferenz knapp an der 5%-Hürde oder der relativen Mehrheit im Wahlkreis kratzt?
Knappe Wahlen sind wie Weihnachten und kommen immer sehr überraschend, so dass sich Leute erst bei Twitter davon überzeugen müssen. 😉

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Jens 27. Mai 2009 um 7:22

Zur Aussage \“Jeder, der sich am Wahltag daran beteiligt, Prognosen vor 18:00 Uhr durch die Gegend zu bloggen oder zu twittern, ist kein Demokrat.\“:

Ist das nicht sogar verboten? Meines Wissens darf man keine Exit Polls vor 18 Uhr veröffentlichen und als RTL mal kurz vor 18:00 Uhr sowas gemacht hat, soll es (ein klein bißchen) Ärger gegeben haben.
Ein illustrer kleiner (wahrscheinlich dreistelliger) Kreis von Parteileuten zählt wohl dann aber noch nicht zur Rubrik \“veröffentlichen\“…

Eine Sache wundert mich aber noch: In einem benachbarten Land ist es anscheinend \“guter Brauch\“, dass interessierte Kreise (und die gehen dank Internet sehr weit – und erreichen dadurch sogar mich) schon deutlich vor Schließung der Wahllokale die Exit Polls kennen und diskutieren. Da scheint man das Thema etwas unverkrampfter anzugehen. Ob zurecht oder nicht, muss man selber entscheiden…

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Godwi 27. Mai 2009 um 7:38

Nö, so wird es nicht kommen. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten gab es nur ein Wallokal, und das war die Bundesversammlung im Reichstag. Die Bundestagswahl verteilt sich auf Weiß-der-Himmel-wie-viele Wallokale über die ganze Republik, und ehe die alle ausgezählt sind, kennen wir über die konventionellen Fernsehsendungen längst die vielen Hochrechnungen, die der Realität für gewöhnlich so nahe kommen, dass sich niemand mehr für das amtliche Endergebnis interessiert.

Die Twitter-Affäre wird meiner Meinung nach ohnehin überschätzt. Da wurde auf zwei Wegen getratscht, und der konventiolle – der ohne Twitter – brachte weitaus peinlichere Effekte zustande. Mehr dazu steht in meinem Blog:

http://tonwertkorrekturen.wordpress.com/2009/05/26/realsatire

Godwi

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hape 27. Mai 2009 um 7:50

@ethone: \“Wer seine Stimme nicht nach bestem Wissen und Gewissen der Partei schenkt, von der er das für alle bestmögliche Regierungsgeschäft erwartet, dürfte eher in die Schublade Nicht-Demokrat fallen.\“

Wenn das der Anspruch ist, dann entscheiden wahrscheinlich die Nicht-Demokraten Wahlen. So weit ich das sehe, entscheiden sich Leute eher dafür, wo für sie persönlich am meisten bei abfällt oder wenn da nichts Konkretes rüberkommt, für das kleinere Übel oder für das sympathischere Auftreten im Fernsehen oder weil sie schon immer so gewählt haben. Das Wohl aller haben ja nicht mal die Parteien im Auge.

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Thomas Knüwer 27. Mai 2009 um 8:34

@Godwi: Aber genau das ist ja der Punkt. Die Exit Polls der Meinungsforscher gehen an eine Vielzahl von Menschen – die Wahrscheinlichkeit, dass etwas hinaus dringt ist weit höher.

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Paul Cermon 27. Mai 2009 um 8:42

@Thomas Knüwer
Alles klar, hab ich falsch verstanden. Wobei dieser \“Zickenkrieg\“ zumindest auch einen m.E. wirklich umsichtigen Blogbeitrag von Volker Beck nach sich gezogen hat. Ich wusste gar nicht, dass es noch Grüne gibt, die sich durch Nachdenken profilieren:
http://beckstage.volkerbeck.de/2009/05/26/twitter-ist-nicht-wikileaks/

Noch mal kurz zum Thema: unsere Republik zeichnet sich nun wirklich nicht durch übertriebenen Bombast und Zeremonienkram aus. Ich fass es einfach nicht, wie viele (nicht hier, aber z.B. bei Basic Thinking) eine gedanklose Protokollverletzung für einen Ausdruck von \“Demokratie\“ halten.

@Godwi
Natürlich ist das Oberthema \“Getratsche\“. Aber ich finde es erschreckend, dass in diesem Zusammenhang die beiden Hauptakteure scheinbar nicht mal den Unterschied zwischen simsen (Privatgetratsche) und twittern (öffentliches Getratsche) verstanden haben.

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owy 27. Mai 2009 um 14:05

@Thomas Knüwer
Na klar, man kann es sich leicht machen und sagen: Wieso, die Ergebnisse waren doch schon im Netz, ich habe sie nur weiter rumgeschickt. Ich finde aber gerade da sollte auch jeder Verfechter der neuen Techniken mal kurz innehalten:

Es gibt diese Regeln und sie sind von wem auch immer ja nicht ganz ohne Grund aufgestellt und entwickelt worden. D.h. nicht, dass man sie nicht in Frage stellen und darüber diskutieren darf.

Was man aber nicht in Frage stellen darf: Dass man sich an die Regeln hält. Dann opfert man nämlich langfristig möglicherweise die eigenen Freiheiten, darüber sollte man sich schon bewusst sein.

Ich sehe da auch durchaus das Problem: Die Abgeordneten, die aus der Bundesversammlung getwittert haben, treten die Regeln der Veranstaltung und damit die Würde des Amtes und der gesamten Versammlung und eigentlich auch ihren eigenen Berufsstand mit Füßen. Sie brauchen sich nicht wundern, wenn die Masse der Bevölkerung sich das zum Vorbild nimmt. Vermutlich ist der Damm auch schon eingerissen und diese dämliche Aktion ist da nur ein Tropfen im Wasserfall…

Ich finde das Argument sehr treffend: Nur weil etwas möglich ist, muss man es nicht tun.

Nur, weil so ein Institut möglicherweise vor Dir undemokratisch handelt (was ich nicht so sehe), darfst du nicht einfach anschließen. Diese zivilsatorische Entwicklungsstufe sollte auch im Netz gelten.

Um die Diskussion auf ein anderes Thema zu bringen, was sicherlich mehr Zündstoff birgt: Ich halte auch das genüssliche Weiterverbreiten von Grimme-Online-Preisträgern, so wie es ein wenig zum Sport geworden ist, für ganz schön daneben.

Fehler von anderen so schamlos auszunutzen… das ist einfach nur eckelig. Wie wäre es an der Stelle mal mit \“Anstand\“?

Aber jetzt bekomme ich bestimmt die Mütze voll, oder? 😉

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Ricci Riegelhuth 27. Mai 2009 um 22:07

Lieber Herr Knüwer,

endlich darf ich meine Gefühle zum Zustand von Bevölkerung, Staat und Regierungspersonal lesen:
\“ Diese Energie, diese Zeit kann nur haben, wer sonst keine Probleme hat.
Und dabei sollten sich die hysterischen Volksvertreter darauf einstellen, dass dies erst der Anfang ist. Da kommt noch mehr. Viel mehr. Spätestens am Tag der Bundestagswahl.

Man könnte depressiv werden. Depressiv ob solcher Menschen, die das Volk repräsentieren sollen in der Hauptstadt, ja, in der großen Welt.\“

Die Damen und Herren Volksvertreter scheinen nur zu scheinen, aber sie leuchten nicht.

Gas gewe, längär lewe

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grimmix 27. Juni 2009 um 20:55

Boah, sollten es die Überlegungen hier bis zur Spiegel-Geschichte geschafft haben?

http://www.heise.de/newsticker/Twittern-koennte-Bundestagswahl-torpedieren–/meldung/141202

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Thomas Knüwer 28. Juni 2009 um 17:10

Das habe ich mich auch schon gefragt. Und dabei muss eines betont werden: Nicht Twitter \“torpediert\“ die Bundestagswahl – sondern die Meinungsforschungsinstitute.

Das Wissen um die Ergebnisse der Exit Polls sind keine staatsgefährdenden Daten wie Angriffscodes für Atomwaffen. Wenn die Ergebnisse der Umfragen sich nun verbreiten, dann ist das Pech für jene, die bisher dieses Herrschaftswissen hatten.

Vielleicht aber würde das ein wenig von der Politikverdrossenheit nehmen: Keine Exit Polls mehr bedeuten mehr Spannung am Wahlabend, längeres Verweisen der Zuschauer bei den Übertragungen und zumindest quantitativ mehr Beschäftigung mit politischen Themen.

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No Handwerk, please – wir sind Hauptstadtjournalisten 1. Juli 2010 um 7:04

[…] etwas über einem Jahr, als Horst Köhler gewählt wurde, twitterten drei Mitglieder der Bundesversammlung die Ergebnisse heraus bevor sie offiziell genannt …. Daraus entstand ein Skandälchen, das ein wenig buntes Futter aus der Hauptstadt lieferte. Deshalb […]

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