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Von Drogensüchtigen heißt es, sie nähmen ihre Sucht nicht als Gefahr hin, so lange sie nach außen ihr normales Leben fortführen können. Sie machen sich vor, alles sei gut, obwohl es das längst nicht mehr ist.

Die Droge von Online-Redaktionen heißt Klicks. Alles dreht sich um sie, auf Teufel komm raus müssen sie gesteigert werden: durch Bildgalerien, Artikel-Aufteilungen, Gewinnspiele, ja sogar – verzeihen Sie das Wort – Leserverarschung.

Und das läuft ja auch ganz hübsch, so lange die Werbewirtschaft nicht genauer hinschauen mag und nicht differenziert zwischen qualitativen Klicks – Leser, die länger bleiben und tatsächlich lesen – und quantitativen von jenen, die durch Adwords-Werbung angelockt wurden und etwas anderes erwartet haben, oder eben jenen Galerie-Klicks bei denen der Leser ein schmales Sekündchen ein Bild vorbeihuschen lässt.

Dieses Konzept der Klicksteigerung beinhaltet, den Leser im Käfig zu halten. Ja nicht darf nach außen verlinkt werden, der Nutzer ist ein scheues Reh, denn das, was er auf den klickgeilen Seiten findet, findet er überall. Also muss man ihn im engen Gehege der eigenen Seite halten.

Das habe ich schon immer für einen Fehler gehalten – und nun gibt es eine Fallstudie, die das beweisen könnte. Über die politische Haltung des Drudge Report kann man denken, was man mag. Wichtiger ist das karge Konstrukt der konservativ orientierten Polit-Seite: Größtenteils besteht sie nur aus Links zu anderen Seiten.

Dies müsste aus Sicht der meisten deutschen Online-Redaktionen ihr Tod sein. Wenn Leser einmal weg sind, kommen sie nicht mehr wieder, ist die allgemeine Ansicht.

Nur: So ist es nicht, wie Publishing 2.0 auflistet. Laut Zahlen von Nielsen Online hat Drudge unter 30 Nachrichtenseiten die höchste Wiederkehrquote seiner Nutzer mit 21,2 Sessions pro Monat, gefolgt von Daily Kos, einem ebenfalls munter verlinkenden Blog. Und auch die durchschnittliche Verweildauer führt der Drudge Report an.

Eine kleines, unspektakulär gemachtes, politisch einseitiges Angebot erzielt eine höhere Leserbindung als Cnn.com oder NYT.com. Offensichtlich sind die Online-Leser also klüger, als ihnen viele Journalisten zutrauen. Sie kommen zurück zu einer Seite, die für sie der Dreh- und Angelpunkt des Nachrichtengeschehens ist. Und sie merken sich, dass sie von dort gekommen sind, wenn sie Meldungen auf anderen Seiten lesen.

Diese Funktion werden herkömmliche Nachrichtenseiten nicht einnehmen können, wenn sie sich nicht ändern. Die Leser sind kompetent in der Technik und selbstbewusst in der Nachrichteneinordnung. Sie wollen nicht mehr von einer Quelle allein die Welt erklärt bekommen – sie wollen einen Filter, der ihnen die interessantesten Quellen der Welt zeigt.

Denn durch die Offenheit des Verlinkens demonstriert solch ein Anbieter eben auch, dass er nicht allwissend sein kann – was ihm ohnehin niemand abnehmen würde. Und deshalb nimmt man ihn ernst.

Die meisten Nachrichtenseiten klassischer Medien dagegen beruhen noch immer auf dem alten Redaktionsprinzip: Sie behaupten, alles aus aller Welt wissen und beurteilen zu können. Doch Google News und seine Möglichkeit zum Textvergleich legen offen, dass dies eine Lüge ist – bestenfalls sind es die Nachrichtenagenturen, deren Texte weiträumig online verwendet werden, die alles wissen.

Der Medienberater Robin Meyer-Lucht sagt dies in aller Schärfe im Perlentaucher (gefunden bei Don Dahlmann):
„Das Loyalitäts- und Wachstumsproblem der Qualitätspresse im Netz ist größer als dies im öffentlichen Bewusstsein der Fall ist. Während die Nutzung des Internets weiter steil wächst und zunehmend neue Massen- Nischenanbieter prosperieren, vermögen viele Zeitungswebsites nicht in vergleichbaren Maße mitzuwachsen. Sie stehen wie altbackene Warenhäuser oder etwas fettig riechende Kantinen in einem sich rasant entwickelnden Umfeld. Sie haben damit ein Qualitätsproblem nicht nur in den Augen ihrer professionellen Kritiker, sondern vor allem auch in den Augen ihrer Nutzer.“

Es wird Zeit, auf Entzug zu gehen, von der Droge Klicks. Und stattdessen zu erkennen, dass Leser das Wichtigste sind – nicht ihre nervösen Zeigefinger.


Kommentare


Patrick 16. September 2008 um 17:01

Ich kann zwar den Zusammenhang der Argumentation teils nicht nachvollziehen, gebe der grundsätzlichen Aussage aber Recht…
Selbstverständlich gehören externe Links dazu.
Gut gesetzt sind sie ein SEO-Plus und kein Leserleck.

Wenn man natürlich im ersten Absatz das dritte Wort mit einem externen Link belegt, der sich im gleichen Fenster öffnet… dann kann die Verweildauer dahin sein.

Ansonsten habe ich noch keine tendenziellen Unterschiede zwischen \“Qualitätsmedien\“ im Web und Onlineklitschen bemerkt, was Verlinken und Quellenangaben angeht. Manche tun\’s, andere nicht. Reine Blogs aber selbstverständlich schon.

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Steffen 16. September 2008 um 17:32

Turi2 besteht größtenteils ja auch nur aus Links.

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Hallenstein 16. September 2008 um 18:12

Wenn ich das richtig sehe, dann ist DrudgeReport lediglich eine große Bookmarkliste. Eine solche ist aber nicht mit einem redaktionellen Nachrichtenangebot vergleichbar. Schließlich will ich ja nicht auf die Website des Handelsblatt gehen und dann alle Nachrichten nur als Link angeboten bekommen.
Was ich will, sind Informationen, aufbereitet und mit Quellen und Links zu weitergehenden oder Hindergrundinformationen. Dies kann mir eine Linkliste nicht liefern.

Klar ist das, was viele Online-Redaktionen verzapfen totaler Bockmist, aber ein Angebot, dass aufgebaut ist wie der Drudge Report ist sicher nicht die Lösung.
Wenn alle Redaktionen so arbeiten würden, wer würde dann Informationen noch aufbereiten, gutes von schlechtem, wichtiges von unwichtigem trennen? Die Nachrichtenagenturen? Ich dachte immer, ein Problem wäre, dass die Redaktionen nur noch Agenturmeldungen rauskloppen?

Auf Klickstrecken verzichten: ja!
Externe Links setzen: ja!
Reine Linkseiten: nein!

Schöne Grüße,
Hallenstein.

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matze 16. September 2008 um 18:14

ist nicht ein Problem die Haftung für Links.
Wenn man vor fünf Jahren Links zu irgendwas gesetzt hat und inzwischen ändert sich da etwas (was auch immer) muss man doch in Deutschland bestimmt dafür haften oder irgendein Idiot oder Rechtsanwalt kommt und verklagt einen.

Klar, das eine ist die Angst, dass der Leser abhaut, das andere aber vielleicht auch die Angst vor Haftung.

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matze 16. September 2008 um 18:15

ach ja, die Überschrift habe ich übrigens erst falsch verstanden. Ich dachte, es geht um die Partei und welcher INternetseiten auf sie via URL hinweisen.

i.S.v. Linke (Partei), so verlinkt man Dich

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S1P 16. September 2008 um 19:34

Eine schöne aber wohl utopische Zusammenfassung. Um die eigene redaktionelle Wichtigkeit zu untermauern werden Klickstrecken (die 100 bestbezahlten berufe = 100 Bilder mit Berufsnamen = 100 clicks) immer mehr wert sein, als eine Liste auf einer Seite und weiterführende Informationen als externe Links auf der anderen. Immerhin fehlen dann 10-100 clicks pro Person (je nachdem wie lange der Leser durchhält).

Warum erfreuen sich Blogs denn solcher Beliebtheit ? Vielleicht weil die eigene subjektive Meinung in vielen Fällen gleichgelinkt wird mit Originalmeldung und weiteren Pressestimmen.

So macht das Lesen mehr Spass, als wenn ich das Gefühl habe der Inhalt dreht sich primär lediglich um mein clickverhalten

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Tobias 16. September 2008 um 22:11

Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Verlinkungen stellen einen Mehrwert für den Leser dar und er besucht gerade auch wegen guter Links bestimmte Seiten gerne (heute meistens Blogs). Durch Tabs in den Browsern bedeuten Links meistens noch nicht mal, dass der Leser wirklich \“weg\“ ist: er öffnet den Link in einem neuen Tab im Hintergrund, liest den Artikel zu Ende und geht dann erst dem Link nach.

Die Sache mit dem Wiederkehrwert ist gut nachvollziehbar: Blogs mit Links werden regelmäßig besucht, auf den großen Nachrichtenseiten werden hingegen nur die verlinkten Artikel gelesen und dann ist man wieder weg. Geht mir bei den meisten Nachrichtenseiten genauso.

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CouchTycoon 17. September 2008 um 7:25

und da wäre dann noch die dummheit, nicht den ganzen artikel als feed zur verfügung zu stellen. nur damit der \“dumme\“ leser brav auf die website klickt. als würd ich die gleiche information nicht in einem anderen feed komplett bekommen.
und ebenfalls nicht zu vergessen, die arroganz. der otto normal onlinejournalist bildet sich ja ein, auf tweets und kommentare nicht antworten zu müssen. das macht sogar der, der zu den 100 einflussreichsten leuten der welt zählt. das bindet den leser deutlich stärker an eine seite, als vier mal klicken zu müssen, um den copypaste artikel ganz lesen zu dürfen.
summasumario les ich meine \“zeitungen\“ nur noch am iphone. wer dort nicht vertreten ist oder informationen entsprechend aufbereitet, existiert für mich nicht mehr. im kiosk bin ich nur noch um zigaretten zu kaufen;)

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bart 17. September 2008 um 8:32

Aber ist sowas nicht auch ein Klickstrecke: http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/_b=2041244,_p=31,_t=ig_p,ig_xmlfile=institutschefs.xml ?

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Arnulf 17. September 2008 um 11:10

Oder das hier: eine 95-teilige Klickstrecke mit Schreibfehler im ersten Satz, gefunden natürlich ebenfalls beim Qualitätsmedium Handelsblatt:
http://www.handelsblatt.com/technologie/news/_b=1340981,_p=138,_t=ig_p,ig_xmlfile=HB_Autonews.xml

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Patrick 17. September 2008 um 14:23

\“und da wäre dann noch die dummheit, nicht den ganzen artikel als feed zur verfügung zu stellen. nur damit der \“dumme\“ leser brav auf die website klickt. als würd ich die gleiche information nicht in einem anderen feed komplett bekommen.\“

Von irgendeiner Form der Einnahmen muss ein Verlag etc. aber leben.
\“Klicks\“ sind dabei *eigentlich* noch eine relativ günstige Währung.

\“und ebenfalls nicht zu vergessen, die arroganz. der otto normal onlinejournalist bildet sich ja ein, auf tweets und kommentare nicht antworten zu müssen.\“

Früher gab es für so etwas Leserredaktionen, später immerhin noch Redaktionsassistenten. Heute gibt es maximal noch letzteres. So gern sie es oft auch würden: Redakteure können nicht jede Anfrage beantworten.

\“es ich meine \“zeitungen\“ nur noch am iphone. wer dort nicht vertreten ist oder informationen entsprechend aufbereitet, existiert für mich nicht mehr. im kiosk bin ich nur noch um zigaretten zu kaufen;)\“

Jede Gesellschaft bekommt die Medienlandschaft die sie verdient 🙂

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eggbert 19. September 2008 um 13:36

Drogen sind nunmal nötig, denn für Zeitungen/Redaktionen gilt nunmal ebenfalls das Motto 2.0: \“Was kann ich für Euer geficktes Businessmodell?\“ (Nerdcore)

Genausowenig wie Kunden bereit sind, die überflüssigen Vertriebs- und Marketingkosten der Musikindustrie zu bezahlen, sind Leser nicht bereit, die überflüssigen Vertriebs- und Marketingkosten der Zeitungen zu tragen. Und wenn die Musikindustrie so tut, als ginge das eine zu Lasten der Künstler, dann ist das ebenso gelogen, wie wenn die Zeitungsbranche so tut, als ginge das andere zu Lasten der Journalisten.

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Patrick 21. September 2008 um 14:06

\“Genausowenig wie Kunden bereit sind… Und wenn die Musikindustrie so tut, als ginge das eine zu Lasten der Künstler, dann ist das ebenso gelogen, wie wenn die Zeitungsbranche so tut, als ginge das andere zu Lasten der Journalisten.\“

Das ist aber leider auch nicht differenziert.
Selbstverständlich geht vieles ohne größeres Unternehmen im Hintergrund, alles aber längst nicht.
Man nehme nur einmal die aufwändigen Tests von Öko Test oder ähnliche Fälle.
So etwas funktioniert nicht als Freelancer, Blogger oder Home-Office-Journalist.
Ebenso Banalitäten wie Anfragen nach Stellungnahmen usw.
Eine große Zeitung kann ein Unternehmen nicht ignorieren, Alleinkämpfer hingegen schon.

In allen Punkten lässt sich die klassische Medienlandschaft nicht ersetzen.

Auch das Beispiel mit der Musikindustrie mag ich nicht so recht akzeptieren. Es mag zwar stimmen, dass die MI mit großer Treffsicherheit Fehler macht.
Aber die positiven Aspekte sehe ich hier kaum.
Es gibt zwar ein Jamendo, es gibt freie Musik, es gibt Ansätze von Eigenvertrieb usw. Überwunden hat man \“die Industrie\“ aber keineswegs.
Die Umsätze gehen zwar zurück, aber wo bleiben die breit verfügbaren Alternativen?

Es kann sich zwar jeder für 2.000 das Equipment kaufen, um ein kleines Album in Eigenregie zu produzieren, aber eine wirkliche Musikrevolution sehe ich hier nicht. Ein \“Dark Side of the Moon\“ wird dabei nicht herauskommen.

Große Verleger (ob Musik, Literatur oder Journalismus) erlauben einen ganz anderen Aufwand, der ohne Vorfinanzierung nicht möglich wäre. Das könnte verloren gehen.

Aber die EInschätzlich wird teilweise stimmen: die Leute werden es nicht mehr bezahlen. Dass es im Gegenzug von anderen Konzepten ersetzt wird: höchstens teilweise.

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Hilda 1. Oktober 2008 um 14:46

Ich mache mir ehrlich Sorgen um den Journalismus. Keiner will ihn bezahlen, aber alle wollen mehr davon. Wir löst man das?

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