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In dieser Woche ist das ARD-Magazin „Polylux“ unter Beschuss geraten: Es hat sich einen Bären aufbinden lassen. Oder besser: einen falschen Speed-Abhängigen. Die einen verdammen nun die Recherche im Internet, die anderen hohnheulen über schlechten Journalismus und „Polylux“ selbst meint lapidar, so etwas könne halt passieren. Für mich verrät der Fall einiges über Recherche im Jahr 2008. Zunächst einmal: Ich bin kein Freund von „Polylux“. Zu überschraubt, zu selbstgefällig, zu hypig ist mir das Magazin.

In der vergangenen Woche geriet die Redaktion mächtig unter Beschuss. Da lief ein Beitrag über Speed-Abhängigkeit (welche Abhängigkeit hat „Polylux“ eigentlich noch nicht behandelt?) und dort hatte sich ein angeblicher Abhängiger eingeschmuggelt, der keiner war. „Plumpe Internetrecherche“ sei das gewesen, sagte die Aktivistengruppe namens „Hedonistische Internationale“, als sie die Sache öffentlich machte und ein Bekennervideo verbreitete, das sehr hübsch gemacht war:

Hier die Reaktion von „Polylux“:

polylog medienfake @ www.polylog.tv/fightclub

Allerdings: Die Redaktion hatte auch einen Abhängigen, von dem bisher nicht bekannt ist, dass er geschauspielert hat, und sie hatte einen Experten. Die Geschichte also ist nicht frei erfunden. Und „plumpe Internetrecherche“ – ein etwas pauschaler Vorwurf. Sollen Journalisten nicht im Internet recherchieren?

Eigentlich wollte ich deshalb dazu auch nichts schreiben. Denn das einzige, was hier bewiesen wurde, ist, wie auch „Polylux“ selbst sagt: Journalisten können veräppelt werden – was für eine Überraschung.

Noch dazu ist die Aktion inhaltlich einfach zu platt. Ende 2006 traf ich in New York Andy Bichelbaum von den Yes Men. Und deren Aktionen sind eben viel durchdachter, böser, witziger als das was jenes Kommando „Tito von Hardenberg“ ablieferte.

Nun aber rückte das Kommando doch noch mit Details über die Recherchemethoden von „Polylux“ raus. Schade, dass sie diese Detail-Infos nicht vorher schon öffentlich gemacht haben. Die „Polylux“-Redaktion veröffentlicht anscheinend in entsprechenden Foren Aufrufe, egal an welchem Thema sie gerade sitzt.

Blenden wir einmal zurück in die Zeit ohne Internet. Das ironische Journalisten-Sprichwort „Zwei sind ein Trend, drei sind ne Welle“ ist ja nicht neu. Schon immer wurden Entwicklungen an Einzelschicksalen festgemacht. Um früher aber einen Drogenabhängigen, Hochverschuldeten oder sonstwie schicksalisierten aufzutreiben, riefen Journalisten bei Hilfsstellen an, gingen auf die Straße und fragten in ihrem Kreis der Informanten, ob jemand wen kenne. Das kostete viel Zeit und viel Telefongeld, damals war das ja noch teurer, das Telefonieren.

War ein entsprechender Mensch aber gefunden, so brachte er eine Empfehlung mit. Ich nenn, das mal so. Entweder hatte ihn der Journalist, oder jemand, dem er vertraute, innerhalb des entsprechenden Umfeldes kennengelernt. Oder jemand, dem der Journalist eine gewisse Menge Vertrauen entgegen bringt, hatte das.

Wollte damals jemand einen Journalisten täuschen, musst er das Vertrauen zweier Menschen gewinnen: Das des Berichterstatters und das seines Informanten. Für „Polylux“ aber ersetzen Internet-Foren den Informanten – und somit entfällt eine Empfehlungs- und Vertrauensinstanz.

Auch heute noch wäre es möglich, den ganz altmodischen Weg zu gehen: anrufen, auf die Straße gehen, Leute kontaktieren. Doch ist dafür noch Zeit? Wie in den Kommentaren des Kommandos Tito von Hardenberg richtig bemerkt wird, liegt zwischen der Suchanfrage nach einem Süchtigen und der Berichtsfertigstellung gerade mal eine Woche. Und in dieser Zeit ist es für eine unüppig besetzte Redaktion ohne dauerhafte Kontakte in ein entsprechendes Umfeld schwierig, einen TV-Beitrag (der ja durch Drehen und Schneiden mehr Zeit und durch das Vor-die-Kamera-Bringen mehr Überredungskünste verlangt) fertigzustellen.

Die personell runtergefahrenen Redaktionen der meisten Medien bieten Fälschungsversuche ein wunderbares Einfalltor. Bei den meisten Medien ist das, was man Stehsatz nennt fast dauerhaft auf Null gesunken: Es sind jene zeitlosen Geschichten, die man in der Reserve hielt, falls mal eine aktuelle Geschichte „wegbrach“. Heute gibt es fast nur noch aktuelle Geschichten und sie dürfen nicht wegbrechen – sonst gibt es ein Loch. Und deshalb muss so effizient recherchiert werden, wie nur eben möglich. Es gibt keine Reisen mehr ohne dass „etwas dabei rauskommt“, es gibt keine vom Arbeitgeber bezahlten „Geschäftsessen“ um einen Kontakt aufzubauen, jede Minute der Arbeitszeit muss genutzt werden, damit nichts wegbricht.

Ist es noch möglich, diese Entwicklung umzukehren? Noch immer glaube ich, dass es möglich wäre. Aber es würde teuer. Derweil sollten Journalisten das Internet zur Recherche nutzen – aber sinnvoll, wie auch Herr Alphonso in der Blogbar schreibt. Das platte In-den-Saal-Rufen „Ey, ist hier nen Junkie?“ bringt nichts. Vielmehr sollten Journalisten alte Recherchemethoden für das Web fitmachen. Auch hier gilt es, sich zu vernetzen und sich bekannt zu machen. Und dann kommt vielleicht aus dem Netzwerk heraus jemand der sagt: „Ich kenne jemand, der Pillen einwirft.“ Es ist eine Veränderung in der Nutzung des Internets ähnlich der, die gestern Poular Mechanics beschrieb: weg von der Masse, hin zur persönlichen Empfehlung.

Das ist zwar nicht die gleiche Empfehlungsqualität, die eine Recherche vor Ort, in der Szene, auf der Straße mitbringt – aber besser als Aufrufe in Web-Foren ist diese Methode allemal.


Kommentare


H. 18. April 2008 um 11:37

Ich hatte kürzlich ebenfalls das Vergnügen, von Polylux per Mail als Interviewpartner für eine ihrer abstrusen Geschichte angesprochen zu werden, nachdem deren \“Redakteur\“ einfach zwei Suchbegriffe in Google eingeworfen und einen meiner Blog-Einträge gefunden hatte. Der Beitrag passte inhaltlich nichmal wirklich zu seinem geplanten Thema. Ansonsten erfolgte durch ihn keine weitere Recherche.

Diese Schlampigkeit hat bei Polylux offenbar Methode. Deshalb habe ich auch wenig Mitleid.

Weiterhin bin ich Co-Betreiber einer Diskussionswebsite, deren Teilnehmer ständig von TV-Mitarbeitern belästigt werden, weil die Redaktionen schnell und billig Interviewpartner suchen.

Es nervt.

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Erik 18. April 2008 um 11:46

Ich kann über diese Anekdote nur schmunzeln. Im Gegensatz zu der Öffentlichkeit, die Polylux notorisch homophoben Verrückten gibt, ist dieser Fall geradezu niedlich.

vgl. dazu
http://tinyurl.com/626hyw

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Jean Stubenzweig 18. April 2008 um 12:16

Das hier geht nun wirklich mal etwas mehr in die Tiefe, vor allem, was das journalistische Procedere bzw. angeht. Manchmal benötigt es eben etwas mehr ein flottes Twittwit. Dank!

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Chat Atkins 18. April 2008 um 12:33

Nicht zu vergessen, dass ein guter Schreiber, dem seine Geschichte \’wegbricht\‘, noch aus dem Wegbrechen einen guten Artikel machen kann.

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lupe 18. April 2008 um 12:44

Ich widerspreche Herrn Knüwer:
Es gibt kein Zurück zu den bewährten Recherchemethoden in den Redaktionen, in denen so gut wie gar nicht recherchiert wird. Wie sollte dort eine Umkehr funktionieren?
Diese Medien werden, auf Dauer gesehen, untergehen – allerdings nur, wenn die Mediennutzer darüber aufgeklärt werden, was ihnen an Einseitigem, Lügen, Halbwahrheiten, nie eintreffenden Prognosen, Schönschriften und nachrichtenfreiem Füllstoff verkauft wird.
Zweite Voraussetzung für den Untergang: Die zahlenden Mediennutzer müssen Willens sein, den andauernden Qualitätsverlust zu erkennen.

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Robert 18. April 2008 um 12:56

Das Phänomen gibt es nicht nur im Internet und bei Journalisten, es ist ein gesellschaftliches Problem.
Ein Bericht, der die Thematik vielleicht etwas weiter fasst:
http://www.thilo-baum.de/lounge/business/frueher-war-alles-aus-holz/

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Rainersacht 18. April 2008 um 13:37

Man nennt es Subversion, und sie fand auch schon vorm Internet statt. Damals war es für die Medchen aber viel einfacher zu vertuschen, wenn sie verarscht worden waren. Beziehungsweise für Leser schwerer, rauszufinden, dass das Medchium veräppelt wurde. Und Fälschungen in den Archiven der Zeitungen durch interessierte Redakteure gab es auch schon immer.

Wozu die Aufregung?

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ich 18. April 2008 um 13:50

Herr Knüwer, Sie benutzen doch auch nur noch fast ausschließlich Blogs, Twitter und Xing – Recherche geht aber aners!

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Thomas Knüwer 18. April 2008 um 13:55

Sorry, aber das ist Unsinn. Zunächst gibt es keine Recherche OHNE das Internet – das stimmt. Aber danach kommt ja noch so einiges. Und bitte machen Sie nicht den Fehler, dieses Blog als einzigen Teil meiner Arbeit zu betrachten.

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mario 18. April 2008 um 14:34

ich frage mich warum diese völlig unlustige aktion hier überhaupt erwähnung findet, aber das frage ich mich bei vielen artikeln auf diesem blog.

wäre diese aktion wenigstens ein wenig lustig, komisch, amüsant, merkwürdig, mysteriös oder strange gewesen, dann, ja dann wäre das ja noch irgendwie erwähneswert. aber so, ….. hätte genausogut auch stimmen können, interessiert doch kein schwein ob irgendein heini speed konsumiert.

dieses \“kommando\“ feiert sich jetzt ab, weil sie jemanden mit einer völlig langweiligen geschichte verarscht haben. gääähn.

außerdem ist diese art der polylux recherche absolut gängig, dass machen auch andere sendungen und sender ganz genauso. sobald sie innerhalb foren einen menschen gefunden haben, der bereit ist vor der kamera zu reden, kann dieser mensch alles mögliche erzählen. das passiert doch tagtäglich, har aber überhaupt keine relevanz und interessiert niemanden.

trotzdem ist diese art der recherche weit mehr, als 99,9 % aller blogger für ihre artikel aufwänden. von daher sollten diese damen und herren blogger sich mit häme lieber etwas zurückhalten. obwohl, auch das ist relativ egal. hauptsache es gibt was zu bloggen, gell herr knüwer?

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Torsten 18. April 2008 um 14:53

Was ich auch interessant fand: irgendjemand stellt ein anonymes Bekenner-Video ins Netz – und die halbe Blogosphäre geht nicht nur sofort davon aus, dass es stimmt, sondern man spinnt die Geschichte munter fort: dass bei Polylux nur Praktikanten arbeiten, dass alle Medien sowieso nur blöde Horror-Geschichten zu Drogen machen, etc pp.

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Jenny 18. April 2008 um 23:42

Thomas: Glaubt man Menschen mit einschlägigen Erfahrungen (vgl. Kommentare an der Blogbar, u.a. von Holgi), waren wohl die Darstellungen beider Drogenkonsumenten unglaubwürdig bzw. ziemlich überzogen.

Wer über einen längeren Zeitraum Speed konsumiert benimmt sich anders, hat ganz andere Problem – und führt alles andere als ein sorgenfreies und durch die Droge optimiertes Leben.

Und genau das ist der Punkt, wo \“wir sind halt veräppelt worden – solche Typen gibt es aber\“ nur noch eine Schwache Ausrede ist.

Etwas besser hat es gestern Panorama gemacht. Gleiches Meme, besser recherchiert: http://daserste.ndr.de/panorama/medikamente14.html

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Wanja 19. April 2008 um 20:00

Das einzige, was das Kommando Tito damit erreicht hat, dass Polylux wahrscheinlich in Zukunft genauso langweilige Beiträge machen wird wie Panorama. Pharmakologen und Wissenschaftler sprechen wunderbar über ein Problem. Wo ist der Nutzer? Außer dieser Wissenschaftler in der Mitte des Beitrags, der ein Medikament \“mal ausprobiert\“ hat und der Typ, der ein Buch darüber geschrieben hat, haben alle wunderbar das Problem analysiert, gesehen habe ich es nicht. Da liegt nämlich auch der Unterschied zu Polylux, und natürlich hat die Redaktion dadurch auch ein höheres Risiko, weil sie letztlich Privatpersonen vertrauen muss. Das scheint hier offensichtlich keiner zu kapieren. Und Speed-User stehen weder im Telefonbuch noch sind sie in irgendwelchen Selbsthilfegruppen organisiert. Ok, die Redaktion kann auch das ganze Wochenende in Clubs abhängen und wahllos Leute anquatschen. \“Hey, nimmst Du zufällig Speed zum Abnehmen oder zum Lernen?\“ Nicht alle Leute, die sich im Internet in Foren tummeln sind böswillige Menschen, die die Medien verarschen wollen und nur Müll erzählen.
Ich möchte bei Polylux weiter Menschen von der Basis sehen und keine Wissenschaftler. Dann kann ich ja Panorama schauen.

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Torsten 20. April 2008 um 23:03

@Jenny: die Kommentare an der Blogbar sind natürlich die Referenz, die uns auf die Realität einnorden…

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Robin 21. April 2008 um 12:57

Also, ich finde diesen Text einfach nur herrlich!!! Die ARD denkt ja über einen Jugendkanal nach. So unkritisch, wie Polylux dort bislang intern gesehen wird, hätte man wohl 14 Stunden am Tag Polylux erwarten können. Nun wird das aber anders sein. Dieser eine Text hat zusammen mit er Aktion des Kommandos den Mythos Polylux verstört. Ihr werdet sehen.

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nona 21. April 2008 um 16:20

\“Zunächst einmal: Ich bin kein Freund von \“Polylux\“. Zu überschraubt, zu selbstgefällig, zu hypig ist mir das Magazin.\“

Oh Gottogott, DANKE! Und ich dachte schon, ich bin allein mit dieser Ansicht. Polylux krankt seit seiner Geburt an einer Art urbanen \“Wir sind hip und relevant und überhaupt Style\“-Attitüde, die ich ziemlich unerträglich finde, weswegen ich da immer nur sporadisch reinschauen kann. Die glauben anscheinend, sie hätten ihre Finger am Puls der Zeit, und müssen erst noch merken, dass da wo sie zu fühlen versuchen kein Blutgefäss pochert, sondern eine Harnröhre.

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