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Ich bin ja nur in begrenztem Umfang mit der Deutschen Bahn unterwegs. Doch selbst eine Viel-Fahrerin, mit der ich am Freitag zusammen reiste, kommentierte unsere Fahrt von Amsterdam nach Düsseldorf eindeutig: „So etwas habe ich auch noch nicht erlebt.“ Der Gang an die Börse ist ein gutes Mittel, um zu wachsen – er ist aber ein untaugliches Mittel, um Probleme zu beseitigen. Denn wer die neuen Einnahmen nur verwendet, um seinen durchlöcherten Teppich zu flicken, der wird schnell unglücklich angesichts all der neuen Mit-Besitzer, die für ihr Geld tunlichst auch Rendite sehen wollen.

Und genau deshalb halte ich die Vorstellung, dass die Deutsche Bahn an die Börse gehen soll für eine kapitale Schnappsidee. Die Zahl der Geschichten über Verspätungen, Ausfälle, dreckige Züge und nicht vorhandenen Service sind schon Legion. Für mich kam am vergangenen Freitag eine neue Version hin zu: Sicherheitsgefährdung oder Lüge.

Der ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Düsseldorf musste nämlich in Emmerich Station machen, verkündete die Zugebegleiterin, denn der Zug sei „kaputt“. Alle Reisenden sollten aussteigen und den wartenden ICE auf der anderen Bahnsteigseite entern.

Eifrige Bahnreisende dürften hier schon gestutzt haben: Denn wie sollte denn ein Ersatz-ICE an einen Bahnhof kommen, der sonst nicht ICE-Ort ist? Vermutlich, unkten wir schon, würde dort ein ausrangierter D-Zug stehen.

Denkste: Es stand in der Tat in ICE dort. Und es war verdammt viel los auf dem Bahnsteig. Ist Emmerich in aller Heimlichkeit zur Metropole gewachsen? Nochmals erklingt der explizite Hinweis, der Zug sei defekt, wir müssten umsteigen.

Davon nichts gehört hatten die drängelnden Menschen auf dem Bahnsteig. Die nämlich wollten alle unseren Zug besteigen. Der wies schon in diesem Moment ein neues Ziel aus: Amsterdam. Das ist insofern bemerkenswert, als dass Emmerich ja eigentlich keine Station ist für den ICE nach Amsterdam. Ist es vielleicht ein Hobby der Emmericher, ihre Sachen zu packen und am zugigen Gleis zu warten, bis mal ein interessanter Zug Halt macht? Und dann Waggons zu erstürmen, die von einer „kaputten“ und somit anscheinend nicht sicheren Lok gezogen werden? Denn warum sonst hätten wir denn auf fast genau halber Strecke umsteigen müssen, wenn nicht unser „kaputter“ Zug unsicher gewesen wäre. Übrigens hat sich diese Kaputtheit nicht in reduzierter Geschwindigkeit manifestiert.

Warum aber riskieren die Niederrheiner Leib und Leben, indem sie die Bahn zwingen, sie in einem defekten Vehikel zu transportieren? Und sollte nicht in solch einer Situation ein spontaner Bahnstreik einsetzen, zum Wohle der Reisenden?

So aber fuhr unser alter Zug ab, gut gefüllt mit Menschen. Und auch wir fuhren – mit 20 Minuten Verspätung. Und dem sicheren Gefühl in der Magengrube: Die Deutsche Bahn lügt ihre Kunden eiskalt an. Und solch ein Unternehmen gehört nicht an die Börse.

Ein Schaffner, übrigens, den man nochmal hätte fragen können, was dieser Karneval sollte, ließ sich bis Düsseldorf nicht mehr blicken. Er wird gewusst haben, warum.

Nachtrag: Die Pressestelle der Bahn hat das getan, was die Zugbegleiter hätten tun müssen. Korrekt informieren, nämlich. Das Problem ist, dass in Deutschland die Bahnnetze Wechselstrom haben, in Holland aber Gleichstrom. Der Zug, der in Emmerich bereits stand, war aber mit Gleichstrom nicht zu betreiben – dies war der Defekt. Deshalb wurden die Züge getauscht. Ob man das nicht mit besserer Vorplanung hätte verhindern können, ist dann eine andere Frage.


Kommentare


Zapp 1. Oktober 2007 um 10:44

Ähem, könnte es nicht auch eine ganz harmlose Erklärung geben? Der Ursprungs-ICE könnte einen Defekt gehabt haben, der nicht sofort bedrohlich war, sich aber auf der langen Weiterfahrt (nach Basel oder München nehme ich an?) ausgewirkt hätte. Zum Beispiel eine ausgefallene Klimaanlage oder Toiletten.
Bei sowas macht es eventuell schon Sinn, den Gegenzug (zufällig in Emmerich) abzupassen und die Passagiere zu tauschen. Der intakte Zug fährt die lange Strecke und der defekte kann bald in Amsterdam gewartet werden.
Eine Gefahr für Leib und Leben oder eine zwanghafte Lüge sehe ich hier nicht unbedingt.

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Cator 1. Oktober 2007 um 11:02

Könnte es auch etwas mit internationalen Unterschieden im Bahnnetz zu tun haben? Verschiedene Spurbreite oder Spannung vielleicht? Wenn die Technik kaputt ist, die für Kompatibilität sorgt, muss der ICE bis zur Reparatur halt in NL bleiben.

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hugo 1. Oktober 2007 um 11:09

Hauptsache nicht recherchieren, sondern einfach mal schreiben. So sind die Blogger.

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Flusskiesel 1. Oktober 2007 um 11:10

Wenn wenigstens das Netz nicht privatisiert wird!

Denn sonst müssen (so wie in England) erst ein paar \“Beförderungsfälle unkonventionell abgewickelt werden\“ (vulgo: Sterben), bevor der Mist unter Zuhilfenahme von Milliarden Steuergeldern wieder rückgängig gemacht wird.

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neudersdorf 1. Oktober 2007 um 11:12

Wie immer es auch gewesen ist. Die Aussagen haben nicht gestimmt, die Bahnreisenden sind, soweit sie die Ansage und/oder Aussagen gehört haben, vorsätzlich belogen worden. Da beist die Maus keinen Faden ab.

Kein Einzelfall, die Kunden werden teilweise vera…

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Zapp 1. Oktober 2007 um 11:19

Wie meine und Cators Beispiele zeigen, kann der Zug sehr wohl \“kaputt\“ gewesen sein. Da das die einzige kolportierte Aussage der Bahn zum Thema war, sehe ich nicht, warum die DB in diesem Fall zwingend gelogen haben soll.
Ein Anruf bzw. eine Mail an die Bahn könnte ggf. weiterhelfen, ein so drastisches Fazit, wie es in der Beitragsüberschrift zum Ausdruck kommt, halte ich aber bei aller berechtigten Kritik an der DB angesichts der momentanen Faktenlage für deutlich übertrieben.
Die Privatisierung halte ich übrigens auch für eine Schnapsidee.

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Ute 1. Oktober 2007 um 11:26

Klasse Story, ich hab\‘ sehr lachen müssen – herrliche Vorstellung!!! Danke dafür!

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Thomas Knüwer 1. Oktober 2007 um 11:50

Der Vorwurf der Nicht-Recherche ist natürlich durchaus berechtigt. Obwohl die Merkwürdigkeiten doch für sich sprechen.

Trotzdem: Ich habe gerade eine Anfrage an die Presseabteilung NRW der Bahn geschickt.

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andreas kaul 1. Oktober 2007 um 11:57

vermutlich verkaufen wir die kaputten züge an die holländer… und auf dem weg dahin kann man ja noch ein paar leute mitnehmen. 🙂

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Arne Klempert 1. Oktober 2007 um 12:07

Wenn der Zug *zurück* nach Amsterdam gefahren ist, dann wurde er vermutlich nicht von der \“anscheinend nicht sicheren Lok gezogen\“, sondern von der Lok am anderen Ende des ICE. Oder gibt es in Emmerich einen ICE-Wendehammer?

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Zapp 1. Oktober 2007 um 12:17

Der ICE 3, um den es sich hier vermutlich gehandelt hat, hat keine Lok mehr, sondern einen über die Hälfte der Achsen verteilten Unterflurantrieb. An den Zugenden sind nur noch einfache Steuerstände.

Die ganze Geschichte ist aber mal wieder ein Beispiel dafür, wie genauere Informationen das Image der Bahn verbessert hätten. Hätte die Zugchefin statt \“kaputt\“ eine genauere Information über das Problem geliefert, wären diese ganzen Spekulationen wahrscheinlich gar nicht aufgetaucht. Mangelnde Informierung der Fahrgäste ist für mich überhaupt eines der Hauptprobleme der DB, auch wenn sich das in den letzten Jahren schon etwas verbessert hat.

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XiongShui 1. Oktober 2007 um 13:09

Da die Strecke Amsterdam – Deutschland – Schweiz von Zuggarnituren sowohl der DB (Deutsche Bahn) als auch der NS (Nederlandse Spoorwegen) befahren wird kann es sein, daß der Zug wegen eines (nicht sicherheitsrelevanten) Defekts in die Ausbesserungswerkstatt bei Amsterdam sollte.

Jedoch sind solche mangelhaften Informationen durch die Bahn dem Imgae schädlicher, als eine korrekte Unterrichtung über den Fehler.

Manchmal entstehen solche Fehler in der Information aber auch durch Zugbegleiter, die sich nicht klar ausdrücken können. Da gibt es noch ein weites Feld für Mitarbeiterschulung.

Wie z. B. auch im Bereich der Bahnhofsdurchsagen. Hier in Düsseldorf hat ein Ansager einen Sprachfehler, eine Ansagerin nuschelt und eine dritte redet so schnell, daß man auch nichts versteht…

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Frank 1. Oktober 2007 um 13:44

Ich finde, dass man eine Kolumne oder Glosse als Erfahrungsbericht auch mal nur mal so schreiben kann, ohne zu recherchieren (also wenn alle Glossenschreiber in den Printmedien genau nachrecherchieren, wie es nun war), aus dem Lameng schreibt es sich manchmal eben am besten – nur wenn man als Fazit zieht: Die Bahn lügt, sollte man in der Tat recherchieren, aber das kann man ja auch nachschieben.

Trotzdem sehr lustige Sache das! 🙂

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Rainersacht 1. Oktober 2007 um 14:04

Was mir zunehmend komisch vorkommt ist die Tatsache, dass immer diejenigen bahnvernichtende Horrorstories veröffentlichen, die selten Bahn fahren. Dass Leute, die vorwiegend mit dem Auto von Stau zu Stau schleichen, Verspätungen der Bahn anprangern, ist auch eher unfreiwillige Komik.

Die \“Informations\“politik der Bahnbediensteten ist individuell sehr unterschiedlich und reicht vom beschriebenen \“Zuch kaputt\“ bis zu detaillierten Ausführungen per Lautsprecher samt Passagierberuhigung sowie Einzeltherapie am Sitzplatz. Habe letzteres in einem Fall miterlebt, wo ein ICE 25 Minuten auf freier Strecke kurz vor Freiburg parkte, weil irgend so ein Rübenbauer seinen Trecker in den Trassenzaun gesetzt hatte. Da hat unser Schaffner für jeden einzelnen im Waggon eine komplette Verbindungstabelle aufgestellt mit dem Ziel die individuellen Anschlüsse zu erreichen.

Das ist übrigens keine Folge irgendwelcher Privatisierungsvorbereitungen, sondern Ergebnis mehdorn-resistenter Bahner mit entsprechendem Berufsethos.

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Thomas Knüwer 1. Oktober 2007 um 14:52

Rainer, vielleicht liegt das daran, dass die Viel-Fahrer ständig so sehr zu spät kommen, dass sie keine Zeit haben, darüber zu schreiben. Die geschätzte Frau Lyssa, die ich bei jener Zugfahrt traf, ist Vielfahrerin und könnte ganze Blog-Serien mit ihren Erlebnissen füllen…

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Björn 1. Oktober 2007 um 15:13

Hmm, vielleicht dochmal ein Bahnblog einrichten *g*

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cut 1. Oktober 2007 um 15:31

@ Rainersacht: Sehr richtig. Das mit den Horrorgeschichten der Seltenbahnfahrer. Ich besitze seit fünf oder sechs Jahren die Bahncard 100. Bin also Vielfahrer. Und: Fast immer pünktlich, zuverlässig und sehr freundliches Personal. Kein Vergleich zu dem Gequäle auf der Autobahn.

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Rainersacht 1. Oktober 2007 um 16:18

@Thomas: Wieso, die ständig unter Verspätungen leidenden Vielbahnfahrer können ja im Gegensatz zu Autofahrern während der Fahrt schreiben ;–) Ich hab sogar schon im Zug gebloggt – das soll mir mal ein Autobahnler nachmachen…

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Ute 2. Oktober 2007 um 8:24

Fahre auch supergerne und viel mit der Bahn und halte auch viel davon (ICE – erste Klasse, herrlich, besser als jeder Flug, dagegen diese Schremmeligen IC, aber egal). Die Stories drumherum (s.o.) sind wirklich feinstes Reise-Entertainment-Programm, ich glaube ja insgeheim, dass die Bahn das extra macht, das macht sie schließlich so menschlich! Insofern sind alle Stories immer berichtenswert, weil einfach zu köstlich aus dem richtigen Leben gegriffen und meist so schräg absurd, dass man sich ständig fragt: \“Hallo? Versteckte Kamera? Das muss doch versteckte Kamera sein! Das kann doch nicht die Wirklichk… oder etwa doch?\“ – auch das mag ich an der Bahn mittlerweile sehr.

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strawberry yam 2. Oktober 2007 um 14:36

is ja auch schön wenn man sich nicht zu den schremmeligen leut\‘ in den schremmeligen ic\’s oder – gott behüte – s-bahnen quetschen muss.

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Helgoländer Vorbote 4. Oktober 2007 um 22:08

@ Ute: Natürlich macht die Bahn das alles extra – das sind doch (Ex-) beamte, da passiert nix durch Zufall. Wir haben das ein Jahr lang im \“Bahnblog\“ begleitet …

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Stephan 25. Oktober 2010 um 2:11

Nur um das mal richtig zu stellen (obwohl es schon ewig her ist): es gibt ein paar ICE mit Ausstattung für die Niederlande, die also dort fahren dürfen (Strom/Sicherheitspaket). Die fahren normalerweise von Düsseldorf oder sonstwo nach Amsterdam. Damit sind sie aber ein gutes Stück in Deutschland unterwegs, nämlich von Düsseldorf bis Emmerich, bis wohin alle ICE eine Zulassung haben. Wenn jetzt zu viele Niederlande-ICE in der Werkstatt stehen, reicht die Anzahl nicht mehr aus, um die Umläufe nach Düsseldorf zu fahren. Also wird von Amsterdam bis Emmerich gefahren und der Niederlande-ICE dort gewendet. Der ICE aus Düsseldorf ist ein Nicht-Niederlande-ICE und fährt deshalb nur von Düsseldorf bis Emmerich.

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Thomas Knüwer 25. Oktober 2010 um 16:47

@Stephan: Was schlicht bedeutet: Die Bahn belügt ihr Kunden?

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