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Es gibt Momente, das verliere ich jede Hoffnung, die ich noch für die Zukunft meines Berufsstands hege. Zum Beispiel gestern im Garten des Verlagshaus Rommerskirchen in Remagen Rolandseck. Fremdschämen. Das ist das einzige passende Wort. Es ergriff bloggende Journalisten kürzlich, bei jener grauenvollen Radiodiskussion im Deutschlandfunk in nie gekanntem Ausmaß. Fremdschämen für Berufskollegen, die jedem Anwärter auf ein Volontariat empfehlen würden neugierig zu sein, flexibel und offen für Neues, die ihm raten lebenslang zu lernen. Fremdschämen, weil diese Personen glauben, für sie gelte dies nicht mehr, obwohl ihre Arbeitgeber in Turbulenzen sind, obwohl sie die ersten Namen von Kollegen schon vergessen haben, die abgebaut wurden, irgendwann ab 2001. „Ach der, nun sag schon…“, rätseln sie gelegentlich in der Kantine und bekommen die Antwort „Jaaaa… Weiß ich auch nicht mehr wie der hieß“, während Eierstichsuppe von ihren Schnauzbärten trieft auf die Serviette, die ihre Kleidung in bunten Farben, denen in den 80ern vielleicht mal das Prädikat „modisch“ zugestanden hätte, schützt.

Fremdschämen auch gestern. „Rolandsecker Gartengespräche“ heißt ein Diskussionsformat das der Verlag Rommerskirchen etablieren möchte. Es ist der Verlag, in dem die gewerkschaftsnahen Medienmagazine „Journalist“, „PR-Magazin“ und „Insight“ entstehen. Dort tut sich etwas. Der „Journalist“ hat gerade eine neue, junge Chefredaktion bekommen und seine jüngste Titelstory über Weblogs war ordentlich und informativ.

Der Verlag residiert in einer rosa Villa direkt am Fluss, hinten eine Terrasse die idyllisch wäre, rauschten nicht ständig die GDL-gesteuerten Züge vorbei. Ein in Ehren ergrauter Golden Retriever streift schwertatzig umher, vielleicht sogar gilt ihm das Schild am Eingang:

Hierher lud Rommerskirchen zu einer Diskussion unter dem Motto: „Medienjournalismus 2.0 07 – Dynamik, Draufgängertum und neue Dünnhäutigkeit“ Auf dem Podium, besser dem ebenerdigen Tisch, saß kein Blogger. Er hätte nur gestört. Henry Lübberstedt durfte den Weg von Stern.de hin zur Qualität rühmen, Steffen Grimberg von der „Taz“ berichtete von erzürnten Chefredakteuren (Stefan Aust soll vor allem per Fax kommunizieren, Giovanni di Lorenzo vor Kai Diekmann buckeln), Thomas Lückerath plauderte ein wenig über DWDL.

Und dann war da noch Hans Hoff. Freier Journalist und früher einer meiner Lieblingsautoren. Irgendwo hatte er schon mal eine Hasstirade auf Blogger geschrieben, in der er all die falschen Vorurteile zusammentrug ohne sich die Mühe der Recherche zu machen. Oder die Last des Nachdenkens. Diesen Mistkübel öffnete er nochmals. Blogger haben kein Leben, Blogger sind dumm, die schreiben nur über ihre eigenen Eier, die haben einen Geheimkodex, die lassen keinen rein – wir kennen all das seit Jahren. Begleitet wurde es vom hämischen Gelächter der älteren Redaktionsmitglieder aus dem Hause Rommerskirchen.

Das hatte etwas von den Kriegsveteranen, die sich lustig machen über die Alliierten. Es hatte etwas sehr, sehr trauriges. Alte Männer (und Frauen) klammern sich an letzte Hoffnungen auf die Wende, auf dass ihr Lebenswerk nicht umsonst gewesen sei. Und dann saßen da diejenigen, die selber machen oder entspannt sagen: „Lasst die Leute doch, ist doch prima.“ Und sie schämten sich fremd. Schämten sich in Anwesenheit der Menschen gleicher Berufsbezeichnung wie die eigene, die Mitbürgern kein Hobby gönnen. Die sich nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die ohne Bezahlung schreiben. Aus Spaß.

Später sagte Hoff mir am Buffet, er könne das schon verstehen, dass Leute einfach so schreiben. Wenn er einen Artikel fertig habe, das fühle sich halt wie nach der Erledigung des Geschäfts auf der Toilette, erleichternd halt.
Ein gutes Wortbild für seine Rede.

Oder der graumelierte Herr, der mich gegen Ende der Diskussion anging. Wer da vor dem Internet sitze, der vereinsame doch. Fernsehen dagegen könne man wenigstens gemeinsam schauen. Gern hätte ich ihm das erklärt mit der Kommunikation im Netz und dass es genau andersherum ist – doch er wandte sich ab und ging.

Journalismus gilt gemeinhin als Kommunikationsbranche. Es ist eines der größten Probleme des Berufsbildes, dass seine Mitglieder nicht kommunizieren wollen. Sie wollen senden. Diktatorisch und mit Alleinstellungsanspruch. Diktatoren aber werden irgendwann alt und grau und zittrig und castroig. Und dann riecht es nach Umsturz, nach Feuer, nach verbranntem Fleisch.

Als Abendessen gab es gestern Grillgut. Es war hervorragend.


Kommentare


Chat Atkins 12. Juli 2007 um 10:51

Thomas S. Kuhn hat in seinen Büchern über Paradigmenwechsel sehr einleuchtend beschrieben, weshalb jeder solche Wechsel buchstäblich von einem \’Aussterben\‘ der Generation zuvor begleitet sein muss. Es sind ja nicht einfach nur andere Anschauungen, die in Köpfen Raum greifen müssen, es gleicht gewissermaßen der Zerstörung eines Lebenswerks, eines Glaubenssystems, dem der Teppich weggezogen wird. So etwas geschieht nur beim Ausscheiden bisheriger Protagonisten, bei ihrem nachfolgenden Ersatz durch unbelastete Trägerfiguren, die frei vom alten Paradigma sind.

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Wolfgang 12. Juli 2007 um 10:52

Es ist ja leider nicht nur so, dass viele Kollegen nicht kommunizieren wollen, sie kokettieren auch noch damit. So wie vor einigen Wochen das \“Streiflicht\“ auf der Titelseite der Süddeutschen, das sich über jene Konkurrenzblätter lustig machte, die den Leser stärker einbinden wollen. Der Schlusssatz lautete damals sinngemäß: \“Wir machen weiter wie gehabt, wir halten die Distanz zum Leser.\“

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Andreas Nink 12. Juli 2007 um 12:14

Mir scheint, nicht nur der Retriever war schwertatzig (schwer tatzig? schwert atzig?).

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Matthias 12. Juli 2007 um 12:56

>Journalismus gilt gemeinhin als
>Kommunikationsbranche. Es ist eines der größten
>Probleme des Berufsbildes, dass seine Mitglieder
>nicht kommunizieren wollen. Sie wollen senden.

sehr schön gesagt – dem ist nichts hinzuzufügen.

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Jan 12. Juli 2007 um 12:56

Für mich persönlich hoffe ich zwei Dinge:
1. Hoffentlich bin ich in 20 oder 30 Jahren noch geistig wach genug, um Veränderungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
2. Sollte das nicht der Fall sein, halte ich hoffentlich meine Klappe und lese zu Hause im Schaukelstuhl ein gutes Buch, anstatt mich öffentlich zum Obst zu machen.
Mal schauen…

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Thomas Knüwer 12. Juli 2007 um 13:28

@Andreas Nink: schwerpfotig wäre ganz korrekt gewesen, Tatzen aber klingen irgendwie schöner.

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Markus Pirchner 12. Juli 2007 um 20:18

Das mit der Kommunikationsbranche die nicht kommunizieren, sondern bloß senden will, lässt sich ohne Abstriche auf die PR-Branche anwenden. Bei dem Trägheitsmoment müssen die wohl einen Bleikern haben.

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Jens 12. Juli 2007 um 21:31

> Als Abendessen gab es gestern Grillgut.
> Es war hervorragend.

Ja, die Falafeln (schreibt man das so?) fand ich jedoch nicht so gut, während die anderen \“Teigteilchen\“ sehr gut schmeckten.

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Don Alphonso 12. Juli 2007 um 22:10

Warum hat der von der TAZ eigentlich nichts von dem gebloggten Hickhack rund um das Schlechtfest der TAZ-NRW erzählt? Und hat keiner Lückenrath mal darauf angesprochen, dass er nur gegen Callsendungsbetreiber agitiert, die nicht der Käufer seines Ladens sind?

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cdv! 13. Juli 2007 um 0:28

Ob es am Markt liegt? Würden wir dieses deutsche Unikum des Abonnements morgen ein für alle Mal verbieten, damit den wirklich freien Wettbewerb der Publikationen entfachen, so würde sich so mancher der Leistung und Qualität besinnen, der er verpflichtet sein sollte. Und: Den benannten Verlag habe ich immer als Lobbyistenvereinigung empfunden, nicht mal als Interessenvertretung oder gar Ideenschmiede.

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noweblog 13. Juli 2007 um 11:01

Verbieten hilft immer.

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Hardy Prothmann 17. September 2010 um 12:03

Guten Tag!

Klingt ja gruselig.

Gruß
Hardy Prothmann

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Günter Born 4. November 2014 um 11:26

Spontan gingen mir zwei Gedanken im Kopf herum.

a) Die „Titelschutzanzeige“ für Bloggosphäre in der eigenen Hauspostille (http://goo.gl/RTJDP2).

b) Was kratzt es mich als Blogger, wenn in China ein Sack Reis umfällt.

Anyway, hab ich wohl Glück, nicht zur Zielgruppe zu gehören.

Fairerweise lässt sich aber feststellen, dass es auch bei euch Journalisten bloggende Kollegen gibt, die sogar was mit diesem #Neuland anfragen können …

… und es gibt Journalisten und Medien, die bei uns Bloggern für Stellungnahmen nachfragen. Also alles gut – zwei Universen, und nur ganz wenige vermögen dazwischen zu wechseln. Spannende Frage ist nur, wo sich zukünftig das Publikum wiederfinden wird.

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