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Wer erleben möchte, wie deutsche Medien spekulieren, der muss in diesen Stunden schauen, was es zum Thema „Harry Potter“ gibt. Ein weiterer Band mit Harry sei nicht ausgeschlossen, orakeln deutsche Medien. Aber nur deutsche. Obwohl die Aussage auf einem BBC-Interview beruht. Sind die Engländer blind? Nein, sie hören einfach zu. Wir müssen reden, liebe Kollegen von den Nachrichtenagenturen. Vor einiger Zeit, als ich bei der Republica weilte, erwähnte ich auf dem Podium, dass die Arbeit von Nachrichtenagenturen schlechter geworden sei. Dafür kassierte ich Prügel.

Nun aber gab es zunächst die G8-Falschzitat-Sache von DPA, nachzulesen bei Herrn Niggemeier. Und heute lese ich bei mehreren Online-Diensten eine Meldung, die mir merkwürdig vorkam: Joanne K. Rowling soll nicht ausgeschlossen haben, einen weiteren Harry-Potter-Band zu schreiben. Es findet sich wohl niemand, der gegenhält, aber trotzdem: Wetten, dass wir dies morgen im mehreren Zeitungen lesen werden?

Listen wir einmal kurz auf:

Spiegel Online: „Rowling schürt Hoffnung auf achten Band“
Die Presse: „Für Rowling ist ein achter Band möglich“
Welt Online: „Rowling schließt Fortsetzung nicht mehr aus“
RP-Online: „Fortsetzung von Harry Potter nicht mehr ausgeschlossen“

Merkwürdig nur: Die englischen Zeitungsseiten im Netz melden nichts davon. Guardian Online & Co. berichten zwar über das BBC-Interview, auf dem diese Aussage beruhen soll, doch niemand spekuliert darüber, dass Rowling weitermacht.

Anscheinend stammt die Meldung von AFP. Ich bin aber gerne bereit mich zu korrigieren. Nur haben Online-Dienste eine bemerkenswerte Art und Weise, Agenturmeldungen zu vertuschen. So sehe ich bei der Welt gar keinen Autor, bei der „Rheinischen Post“ ist der Artikel mit RPO gekennzeichnet – also Rheinische Post Online. Möglicherweise hat DPA nachgezogen, wie ich nach dem Ende dieser Geschichte in Zeit Online tippe, die Rowlings Zitate noch stärker verfälscht.

Und die Agenturkollegen sind entweder zu dumm gewesen, zu begreifen, was Rowling da gesagt hat – oder sie wollten es nicht hören.

Die Meldungen berichten, die Autorin habe gesagt:
„Man soll nie nie sagen“ – die so ziemlich unverbindlichste Aussage der Welt. Und dann heißt es bei Spiegel Online:
„“Ich kann doch nicht sagen, ich werde niemals wieder ein Buch über das Universum des Harry Potter schreiben. Ich weiß doch nicht, was in zehn Jahren sein wird.“ Aber unwahrscheinlich sei eine Fortsetzung dennoch“

Etwas „unwahrscheinliches“ reicht für eine Spekulation, dass es einen weiteren Harry-Potter-Band gibt? Nur für Online-Auftritte, die sich als Klick-Huren gerieren. Was Rowling damit meint ist schlicht und einfach, dass sie vielleicht noch mal ein Buch in dem Umfeld der Harry-Potter-Welt schreibt. Richtig, Welt. Sie sprach von Welt, warum das mit Universum übersetzt wird – ein Rätsel. Und dann fügt sie hinzu: „Das ist aber unwahrscheinlich.“

Aber auf der Suche nach dem nächsten Knüller sind inzwischen selbst Nachrichtenagenturen auf dem Niveau tiefer gelegter Boulevardblätter angekommen. Übrigens ist auch die Behauptung, sie habe nach Beendigung des Buches „Rotz und Wasser geheult“, wie es Welt Online schreibt, so auch nicht richtig. Rowling sagte, sie habe bei einem bestimmten Kapitel kurz vor Schluss geheult, aber nicht bei Beendigung des Buches. Und sie war auch nicht völlig fertig, sondern habe nicht gewusst, ob Euphorie oder Niedergeschlagenheit stärker sind.

Nachzuschauen gibt es das übrigens bei Youtube:

Wieder einmal liefert eine Nachrichtenagentur ein trauriges Bild des Niveauverfalls ab. Und selbst wenn sich inhaltlich diskutieren lässt, bleibt noch eine weitere Frage: Warum ist diese Meldung erst heute auf dem Markt? Die Sendung der BBC war am Freitag Abend.


Kommentare


Chat Atkins 10. Juli 2007 um 9:11

Der \’moderne Qualitätsjournalismus\‘ kotzt mich an!

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virtual-cd 10. Juli 2007 um 11:08

Ja: Ein sehr lehrreiches Beispiel.

Es zeigt m.E. unterschiedliches auf:

1. Den Niveauverlust. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie man als Vertreter der etablierten Medien noch die Arroganz aufbringen kann, von \“Qualitätsjournalismus\“, \“auführlicher Recherche\“ usw. zu plappern. Das Beispiel zeigt: Nix ist mit Recherche. Null. Nada. Niente.
Es wird einfach irgendetwas zusammenkompiliert, was über die Ticker läuft. Selbst einfachste Überprüfungen, die ohne weiteres schnell möglich wären, ohne den Schreibtisch zu verlassen, finden offensichtlich nicht statt. So können sich Falschmeldungen und Enten durch die komplette Presselandschaft ziehen … und die Masse der Empfänger hält es für bestätigte Wahrheiten, weil: \“Es stand doch in *allen* Zeitungen\“.

2. Einheitsbrei. Alle schreiben mehr oder weniger dasselbe. Komisch, oder?

3. Prognose meinserseits: Es wird keine Berichtigung geben. Kein: \“Entschuldigung, wir sind da einer fehlerhaften Übersetzung aufgesessen – wir haben das nicht geprüft. Unser Fehler. Es tut uns leid.\“
Das wir nicht passieren.

Mir ist ja das Beispiel selber herzlich egal. Aber es ist symptomatisch für unsere Presselandschaft.

Ich finde es beängstigend, dass einige Wenige – im Extremfall sogar nur ein Mensch – über eine Tickermeldung eine komplette Presselandschaft komplett \“befüllen\“ kann. Ohne Überprüfung. Ohne Relativierung.
Und das bestimmt dann die Wahrnehmung der Realität für ca. 90% der Menschen.

Wundert sich eigentlich wirklich noch wer, dass in den USA eine Mehrheit geglaubt hat, Saddam Hussein habe persönlich die Twin Towers gekippt?

Ich halte das für eine moderne Form der Gleichschaltung der Medien, die es in der Struktur ermöglicht, jede beliebige Form von Realitätswahrnehmung und Propanda in die Köpfe der überwiegenden Mehrheit der Rezipienten zu drücken – ohne das eine Rückkoppelung auf den Wahrheitsgehalt überhaupt stattfinden kann.
Weil: Die Lautsprecher dieser Propagande, die den Quark einfach nur durchreichen, wissen ja selber auch nicht mehr als der Rezipient des Mediums. Die können und wollen doch selber auch nichts mehr überprüfen.

Frage: Wozu braucht man überhaupt mehrere Zeitungen? Wen in allen dasslebe steht?
Was machen eigenlich Redakteure und Journalisten noch – außer Tickermeldungen 1:1 weiterzureichen? Kann man das nicht automatisieren?

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Jochen 10. Juli 2007 um 11:33

doch. news.google.de

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Jörg Friedrich 10. Juli 2007 um 12:11

Ich bin – ehrlich gesagt – vor allem erstaunt über die plötzliche Entrüstung. Nach meiner Beobachtung ist diese \“Arbeitsweise\“ bei den meisten Medien schon immer ganz normal.

Jede Politiker-Äußerung wird auf diese Weise umgedeutet. Die meisten Menschen finden das völlig normal. Wenn man i einer Diskussion darauf hinweist, dass der Betroffene das so nie gesagt hat, dass das eine Deutung der Medien ist, wird man spöttisch angesehen und gefragt, ob man denn nich wisse, dass Politiker nie das was sie meinen, auch klar sagen.

Warum sollte das bei der Harry-Potter-Autorin anders sein?

Entweder wir gestehen den Journalisten dieses Recht auf Ausdeutung und Verkürzung zu, oder nicht. Im letzteren Falle dürfte allerdings auch bezüglich der Diskussion der letzten Tage um gewisse Schäuble-Äußerungen am Schluss nicht viel Substanzielles übrig bleiben.

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wonko 10. Juli 2007 um 12:12

@virtual-cd: Sie schreiben sie noch ein wenig um 🙂

Toller Artikel übrigens!

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nolookpass 10. Juli 2007 um 12:26

\“Warum ist diese Meldung erst heute auf dem Markt?\“

Ähm, Wochenende?

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Armin 10. Juli 2007 um 21:03

Der Torygraph schreibt viel wenn der Tag lang ist. Und wenn Du den Artikel mal genau liest wirst Du feststellen dass nicht Rowling ein Statement herausgegeben hat sondern der Verlag bestaetigt hat was sie am Freitag gesagt hat.

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softanarcho 11. Juli 2007 um 10:07

Wenn man bedenkt, dass zu den \“schlampigen\“ Meldungen womöglich noch bewusst manipulierte, sowie auch fragwürdige Statistiken hinzukommen, ergibt das ja noch eine Steigerung der Falschinformationen.

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egal 11. Juli 2007 um 11:34

Habt ihr alle nichts Besseres zu tun? Gibt es keine journalistisch wichtigeren Themen?

Ich finde es sagt auch viel über den heutigen Journalismus aus, wenn \“Journalisten\“ nur noch vor dem Computer sitzen und die Welt da draussen über Google news, Agenturen und Youtube empfangen. Und dann darüber debatieren, wer was wann wo gesagt hat.

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Thomas Knüwer 11. Juli 2007 um 11:57

Sehr intelligenter Kommentar. Wir Journalisten nutzen auch Google News, Agenturen und Youtube. Das heißt: Wir gehen auch raus in die Welt. Dummerweise weiß der Leser aber nicht, wann wir rausgehen, wann wir etwas wirklich gehört und gesehen haben. Und deshalb ist es nötig, die steigende Zahl von Fehlern anzusprechen.

Aber danke für den Hinweis auf wichtigere Themen. Und die zahlreichen Vorschläge, welche das nach Ihrer Meinung sind…. Ach, da kamen ja gar keine.

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egal 11. Juli 2007 um 12:05

>Wir Journalisten nutzen auch Google News, Agenturen >und Youtube. Das heißt: Wir gehen auch raus in die >Welt.

Ja, wenn das für Sie die Welt ist….

Es war halt immer schon so, auch ohne Internet: Die Handvoll an guten Leuten haben vor Ort recherchiert. Die große Masse hing lieber in Cafes und an Hotelbars rum und ließ sich die Welt erklären.

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Thomas Knüwer 11. Juli 2007 um 12:10

Ups, missverständlich geschrieben von mir: Ich meint: UND wir gehen vor Ort. Internet und Recherche – so muss das laufen.

Und was die große Masse betrifft bezeichne ich das erstmal als gern gehegtes Vorurteil so lange ich Ihren Hintergrund nicht kenne.

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Jens 11. Juli 2007 um 12:35

…wobei das doch in völlig ordnung ist, wenn sich die masse der journalisten die welt erklären lassen, oder?
(vor Ort recherchiert? Wie soll das gehen in den fällen g8 und rowling? da ist \“vor ort\“ ja nunmal das tatsächlich gesagte, das unkolportiert im nachhinein – hossa – im internet zu finden ist)

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Bücherwurm 11. Juli 2007 um 23:50

AFP ist übrigens keine \“deutsche Nachrichtenagentur\“, sondern eine massiv mit staatlichen Mitteln subventionierte französische Agentur (über 50 Prozent des AFP-Etats stammen aus Steuermitteln).

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